Diversität säen, Widerstandskräfte kultivieren
Saatgut ist Kultur und Lebenskraft. Saatgut ist die Grundlage der Ernährung von Menschen und Tieren. International, aber auch in Argentinien, befördern privatwirtschaftliche Akteur*innen in der Saatgutzüchtung zwar einerseits technische Innovationen, andereseits auch Hybridisierung und gentechnische Manipulation von Pflanzen. Nach Fusionen und Übernahmen in jüngster Zeit kontrollieren gegenwärtig nur vier Unternehmen ca. 70 Prozent des Weltmarktes für Saatgutkulturen und Pflanzenschutzmittel. Unsere Ernährungsgrundlagen und die Biodiversität sind gefährdet.
Die von diesen Konzernen betriebene Patentierung verschließt anderen öffentlichen und privaten Akteuren und auch den Landwirt*innen selbst den freien Zugang zu Sorten, schränkt den Wissensaustausch ein und behindert die Möglichkeiten, Saaten zu züchten oder eigenes Saatgut erhalten zu können. Bäuer*innen verlieren so immer weiter ihre Souveränität bei der Wahl des Saatguts.
Constelación (das Zusammenkommen) ist eine junge Initiative, die 2018 von Alex Edleson ins Leben gerufen wurde. Ziel ist die gemeinschaftlich betriebene, selbstbestimmte Zucht und Vermarktung vielfältigen biologisch-dynamischen Saatguts. Firmensitz ist in Merlo, einer Kleinstadt in Argentinien. Das Unternehmen baut ein landesweites Netzwerk von lokalen Saatgutproduzent*innen auf, gestützt auf eine elementare Überzeugung: Souveränität über Saatgut und seine freie Zirkulation stellen ein lebendiges Erbe der Menschheit dar; sie sind fundamental für den Erhalt der Artenvielfalt und für eine funktionierende Zivilgesellschaft.
In Argentinien gab es kein ökologisches oder biodynamisches Saatgut bis Alex Edleson anfing, sich dafür zu engagieren. Bis dahin war es für ihn auch geographisch ein langer Weg. In Indonesien geboren und aufgewachsen, absolvierte er in den USA ein Studium und landete 2001 in Argentinien. Dann machte er in Deutschland eine Ausbildung in bio-dynamischer Saatgutzucht. Im Jahr 2018 startete er die Crowdfunding-Kampagne SembrarEco („ökologisches Säen“), um eine finanzielle Basis für den Start von Constelación zu schaffen. Morgens schuftet er auf dem Hof und nach Mittag arbeitet er am Aufbau des Saatgutunternehmens.
Monokulturen, GMO und Hybrid-Saatgut
Seit 1996 ist der Anbau von gentechnisch manipuliertem Soja in Argentinien erlaubt. Heute sind mehr als 67 Prozent der argentinischen Ackerflächen mit Soja bepflanzt - zu 99 Prozent handelt es sich dabei um Gensoja. Nach den USA und Brasilien ist Argentinien der drittwichtigste Produzent von Sojabohnen weltweit. Ein gewichtiger Teil der Produktion ist für den Export bestimmt – insbesondere in Form von Futtermitteln für die Massentierhaltung.
Grundsätzlich hat Argentiniens Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten eine starke Intensivierung erfahren. Immer größere Landstriche und Wälder wurden zu diesem Zweck in Monokulturen verwandelt. Lokales Saatgut wurde von Hybridsorten und gentechnisch manipulierten Organismen (GMO) verdrängt. Die Profiteure sind Großbetriebe der Agroindustrie. Diese Form der Landwirtschaft hat verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie die Qualität der Böden.
Gerade jetzt in Zeiten der Krise in Folge der Pandemie zeigt sich ein wachsendes Bewusstsein über diese Schieflage. Das macht sich unter anderem in einer steigenden Nachfrage nach ökologischen Produkten bemerkbar. Zertifiziertes organisches Saatgut konnte man bisher auf dem argentinischen Markt jedoch nicht kaufen. Immer mehr Kleinbäuer*innen versuchten sich daher an der Züchtung eigener Sorten, doch mangelt es diesen aufgrund von fehlendem technischen Know-how häufig noch an Qualität.
Wiedererlangung der lokalen Souveränität über Saatgut
Um diese Entwicklung aufzufangen und dem wachsenden Interesse von argentinischen Kleinbäuer*innen und Konsument*innen an ökologischen Lebensmitteln entgegenzukommen, gründete der junge Landwirt Alex Edleson im Jahr 2018 die Saatgutinitiative SembrarEco.
Die Initiative wird von einer Kooperation des Trägervereins AABDA (Argentinischer Verein für biologisch-dynamische Landwirtschaft) mit einem neu gegründeten Saatgutunternehmen ("Constelación - Semillas Agroecológicas") und einem Netzwerk von Saatgutzüchter*innen getragen.
Ziel ist die gemeinschaftlich betriebene, selbstbestimmte Zucht und Vermarktung vielfältigen biologisch-dynamischen Saatguts, wobei die aktive Teilhabe an Selektion und Vermehrung sowie der freie Tausch von Saatgut unter den beteiligten Züchter*innen großgeschrieben werden. Die Initiative ist überzeugt: Die lokale Souveränität über Saatgut und seine freie Zirkulation stellen ein lebendiges Erbe der Menschheit dar und sind fundamental für den Erhalt der Biodiversität sowie für eine funktionierende Zivilgesellschaft.
Alex Edleson, der zuvor eine Ausbildung in der bio-dynamischen Saatgutzucht in Deutschland absolviert hat, arbeitet mit fünf Mitstreiter*innen unter Hochdruck am Aufbau des Saatgutunternehmens Constelación. In der Kleinstadt Villa de Merlo (Provinz San Luis) fanden sie geeignete Gebäude für den Firmensitz, die nun als zentrale Sammelstelle, Lagerungsstätte, Analyselabor und zum Vertrieb von Saatgut dient.
Das Züchter*innen-Netzwerk wächst
17 Züchter*innen aus sieben argentinischen Provinzen haben sich bislang zu dem Netzwerk zusammengeschlossen, das Constelación mit Saatgut beliefert. Gemeinsam verständigte man sich auf einheitliche Standards und Qualitätskriterien für gute Züchtung und begann mit der Testung von lokalen Varianten, um Sorten zu identifizieren, die einer wirtschaftlichen Nutzung unter lokalen Bedingungen gewachsen sind. Viele der Züchter*innen verwendeten Saatgut bis dato ausschließlich zur Selbstversorgung und tauschten es nur mit anderen Züchter*innen aus, weshalb die Diversifizierung und Produktion für den kommerziellen Handel ein wichtiges Thema von Schulungen darstellt, die Alex Edleson mit den Züchter*innen durchführt.
Aktuell kann die Initiative bereits 93 selbstgezüchtete Gemüse- und Pflanzensorten anbieten, darunter Sellerie, Aubergine, Bohne, Kürbis, Zucchini, Brokkoli, Blumenkohl, rote Beete, Paprika, Spinat, Möhren, mehrere Tomaten- und Salatvarianten, Radieschen, Kräuter und Heilpflanzen. In Merlo wird das Saatgut gesammelt, gereinigt, labortechnisch untersucht, zwischengelagert, verpackt und über verschiedene Kanäle vertrieben.
Constelación hat einen Online-Shop auf der eigenen Webseite eingerichtet, vernetzt sich über soziale Medien mit potenziellen Kund*innen, und stellt die Initiative auf Messen und Veranstaltungen vor. Hausgärtner*innen und Kleinbäuer*innen aus inzwischen neun argentinischen Provinzen sind die wesentlichen Abnehmer*innen des Saatguts. Doch Constelación möchte auch gezielt mit Waldorfschulen und öffentlichen Schulen zusammenarbeiten, die eigene Schulgärten betreiben.
Zertifizierung und Vernetzung
Mit Partizipativer Zertifizierung (PGS) soll ein System entwickelt werden, das es auch Kleinbäuer*innen ermöglicht, ihr Saatgut kostengünstig zertifizieren zu lassen. Bei diesem dynamischen Sozialprozess sind die Züchter*innen selbst an der Zertifizierung des Saatguts aus dem Züchternetzwerk beteiligt.
Die Constelación wird vom Argentinischen Verein für biologisch-dynamische Landwirtschaft (AABDA - Asociación para la Agricultura Biológico-dinámica de Argentina) getragen. Der Verein vernetzt seit über 30 Jahren biodynamische Kleinbäuer*innen aus verschiedenen Regionen Argentiniens und fördert so den Erfahrungsaustausch und die Zirkulation von biodynamischem Saatgut.
Die Initiative steht mit zahlreichen Akteuren auf internationaler Ebene in regem Austausch über ökologische Pflanzenzüchtung, darunter mit Bioleft – Open Seeds, Bingenheimer Saatgut, Kultursaat e. V. und Sativa.
Um ihre Pionierarbeit in Argentinien auf ein solides Fundament stellen zu können, ist die Biodynamische Saatgutinitiative auf Spenden angewiesen. Die Durchführung einer vergleichenden Qualitätsprüfung einer spezifischen Saatgutvariation kostet 53 Euro. Für die Prüfung und Reinigung von Saatgut fallen monatliche Ausgaben von ca. 115 Euro an. Die Teilnahme an einer dreitägigen Schulung (einschl. Transport, Verpflegung, Unterkunft) kostet pro Person 322 Euro. Hohe Prioriät hat zurzeit auch die Anschaffung einer Auslesemaschine zur Sortierung und Trennung von Saatgut im Wert von 16.273 Euro.