09.04.2024

Ein würdiger Start ins Leben

Die Casa Angela, Zentrum für Mutter-Kind-Gesundheit und natürliche Geburtshilfe der Associação Comunitária Monte Azul, ist das erste staatlich anerkannte Geburtshaus Brasiliens. Es steht armen und solventen Frauen gleichermaßen offen, für die Geburtsvorbereitung über die Geburt bis zur Nachsorge. Aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ist das Geburtshaus auf Unterstützung für arme Frauen angewiesen.

 

Mehr zu ACMA

Seit 1979 arbeitet der Verein Associação Comunitária Monte Azul (ACMA) mit Menschen, die in den Favelas von São Paulo leben. Heute werden Tausende von Familien in den Favelas Monte Azul und Horizonte Azul erreicht. Grundlage für die vielseitigen sozialen, pädagogischen, kulturellen und Gesundheitsprogramme sind Anthroposophie und Waldorfpädagogik. Im Fokus stehen die Wertschätzung jeden Individuums und seine ganzheitliche Entwicklung – unter Berücksichtigung geistiger, körperlicher, spiritueller und künstlerischer Dimensionen – sowie die Ermöglichung von aktiver Teilhabe an der Gestaltung der Gemeinschaft. In den vielseitigen Programmen sind neben 266 festen Mitarbeitenden über 80 inländische und ausländische freiwillige Helfer*innen tätig. Zudem sind 1787 Mitarbeitende für die Umsetzung des staatlichen Gesundheitsprogramms "Estratégia Saúde da Família" zuständig.

Gemeinsam mit Bewohner*innen der Favela Monte Azul gründete die Waldorfpädagogin Ute Craemer 1979 den Verein Associação Comunitária Monte Azul (ACMA). Ihr Ziel war, die Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern. Die Spielnachmittage für die Kinder aus der Favela, die Ute Craemer organisierte, erfreuten sich immer größeren Zulaufs. Schnell schlossen sich ihrer Initiative weitere Menschen an, die sich mit ihren Fähigkeiten und Ideen einbrachten und für Kinder, Jugendliche und ihre Familien Angebote machten, etwa im Bereich der Kunstvermittlung, des Theaters, des Tischlerhandwerks, der Geburtsvorbereitung oder der medizinischen Heilkunde.

Viele Brasilianerinnen erleben die Geburt als Erniedrigung, Ohnmacht und Entfremdung

In Brasilien – einem Land scharfer Gegensätze – können sich nur die Wenigsten medizinische Versorgung und Geburtsbegleitung leisten. 32 Millionen Menschen leben in absoluter Armut und sind auf unzureichende staatliche Gesundheitsposten, "Postos de Saúde", angewiesen. Das Gesundheitssystem insgesamt ist nicht auf das Bevölkerungswachstum ausgerichtet: In der Region, in der die Casa Angela liegt, kommt es durchschnittlich zu 20.000 Geburten im Jahr; damit sind die zwei Krankenhäuser, die im Einzugsgebiet Campo Limpo und M'Boi Mirim im Süden São Paulos liegen, maßlos überlastet. Auch sind sie personell, materiell und infrastrukturell unzureichend ausgestattet. Deswegen weist das Personal die schwangeren Frauen ab oder behilft sich durch überdurchschnittlich viele Geburten in Form eines Kaiserschnitts (bis zu 95 Prozent), weil das schneller geht und die Ärzt*innen mehr daran verdienen. Etliche Betroffene erleben die Geburt als Erniedrigung, Ohnmacht und Entfremdung. Dies führt zu weitreichenden psychosozialen Störungen der frühen Mutter-Kind-Beziehung.

Vor diesem Hintergrund hat die Hebamme Angela Gehrke in den 80er Jahren die Initiative ergriffen, um Frauen ein förderliches Umfeld für die Geburt zu bieten. Zunächst war sie ambulant tätig; 1997 errichtete ACMA ein Ambulatório, in dem sie fortan Geburtshilfe leisten konnte. Später führte Anke Riedel die Arbeit fort und gründete 2007 zusammen mit ACMA das Geburtshaus Casa Angela, so genannt in Ehrung und Anerkennung von Angela Gehrke. Es wurde 2009 eröffnet.

Die Casa Angela hat sich zum Ziel gesetzt, Neugeborene, die inmitten der kargen, harten und entwicklungsfeindlichen Realität der Favelas das Licht der Welt erblicken, respekt- und liebevoll in die menschliche Gemeinschaft aufzunehmen und sie durch einen würdigen Lebensbeginn in ihrer gesunden, körperlichen und seelischen Entwicklung zu unterstützen.

Die Mitarbeiter*innen von Monte Azul bieten Frauen eine umfassende Betreuung

Das Team aus 67 Mitarbeiter*innen und einer bzw. einem Freiwilligen bemüht sich, den Familien aus Monte Azul und der Region eine umfassende Betreuung anzubieten. Dazu gehören vorgeburtliche Untersuchungen, Geburtsvorbereitungen, eine menschenwürdige Geburt, Nachuntersuchungen und Austauschmöglichkeiten mit anderen neuen Eltern während des ersten Lebensjahres. Zusätzlich zu der medizinischen Betreuung geht es auch um Themen wie das Stillen und um therapeutische Begleitung. Im Jahr 2023 wurden über 29.268 Frauen beraten, untersucht oder behandelt; 354 konnten ihr Kind in der Casa Angela zur Welt bringen. Von allen versorgten Familien sind 54,3 Prozent aus einem sozial verwundbaren Kontext und 48,9 Prozent sind Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren.

Das therapeutische Begleitangebot bietet im schwierigen und hektischen Alltag der Favela die Möglichkeit, die Schwangerschaft bewusst wahrzunehmen und darüber zu lernen. Etwa beim festlichen Bemalen der hoch schwangeren Bäuche mit lagekonformen Umrissen des Babys, wodurch das Heranwachsen des Kindes greifbarer wird. Kurse unterrichten die neuen Eltern über die ersten Entwicklungsschritte der Säuglinge; es wird gemeinsam gesungen und die Eltern können künstlerisch aktiv werden.  Außerdem bietet die Associação Comunitária Monte Azul vielseitige Anlaufstellen für die Kinder gemäß ihrem fortschreitenden Alter, etwa im Kindergarten oder als schulbegleitende Freizeitgestaltung.

Seit 2015 ist das Geburtshaus staatlich anerkannt und erhält finanzielle Unterstützung des Sistema Único de Saúde für die Begleitung bis zur Entbindung. Die Kosten für sozialpädagogische Betreuung werden jedoch nicht übernommen; hierfür werden Spendengelder benötigt. Die Begleitung ist gerade für sozial schwache Familien sowie minderjährige Mütter in sozialen Risikosituationen von entscheidender Bedeutung. Pro Monat belaufen sich die Kosten für diese Begleitung auf 6.500 Euro.

Spendenzweck

Brasilien: Casa Angela F318