Judo eröffnet Räume

08.08.2024

Mit einer Judo-Trainingshalle schafft PAM einen Ort der Inklusion.

Das Viertel Rani Ban in der nepalesischen Gemeinde Nagarjun in Kathmandu wächst und floriert. Doch mit dem Wohlstand einiger Weniger wächst auch der Graben zwischen verschiedenen Einkommensschichten sowie Kastenlosen und Angehörigen von religiös bestimmten Kasten. Die Nichtregierungsorganisation (NRO) Prisoner‘s Assistance Mission (PAM) bringt die unterschiedlichen Gruppen zusammen und ermöglicht durch gemeinsame Judo-Trainings Begegnung und Inklusion.

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Ziel von PAM ist, Kindern von Strafgefangenen ein Zuhause zu geben und ihnen Grundlagen zu vermitteln, damit sie in einer durch das Kastensystem geprägten Gesellschaft einen eigenständigen Weg gehen können.
Durch die erfolgreiche Einrichtung eines Judo-Programms im Jahr 2008 wurde den Kindern und Jugendlichen von PAM die Möglichkeit gegeben, Teilhabe und Anerkennung zu erfahren. Der Erfolg dieser Initiative hat sich durch die soziale Integration in der Schule und in der Nachbarschaft, durch die Öffnung von beruflichen Perspektiven, auch bei Polizeibehörden und durch zahlreiche Preise und Medaillen in nationalen wie internationalen Judo-Meisterschaften gezeigt.
Zurzeit leben 28 Kinder im Kinderheim Nestling Home; betreut werden sie von vier Erwachsenen. Die Kooperation mit der Zukunftsstiftung Entwicklung begann 2002 mit einer Unterstützung für den Bau des Heimes.

Die nepalesische Schriftstellerin und Aktivistin Bishnu Kumari Waiba (Künstlername Parijat) setzte sich für das Leben der Kinder von Strafgefangenen ein. 1991 gründete sie dafür Prisoners‘ Assistance Mission (PAM), um Kindern von Inhaftierten zu helfen. 2002 baute PAM ein Heim in Nepals Hauptstadt Kathmandu, um ihnen ein familiäres Zuhause zu ermöglichen. 2004 übernahm Dr. Narayan Kaji Shrestha als ehrenamtlicher Leiter die Organisation. Mit viel Hingabe, Geduld und der Überzeugung, dass alle Menschen Erfolg und Selbstbewusstsein erreichen können, wenn sie Anerkennung erleben und ihre Talente entfalten dürfen, begleitet er die Kinder und Jugendlichen des Heimes.

Etwa 1.200 Familien leben in Rani Ban. Bis in die neunziger Jahre gehörte die Mehrheit der Bewohner*innen zu den indigenen Gruppen der Tamang, Sherpa und Magar, zur niederen Kaste der Dalits oder zu tibetischen Flüchtlingsfamilien. Seit Mitte der 2000er Jahre änderte sich die Zusammensetzung. Immer mehr Familien aus der Mittelschicht, viele aus den höheren Hindukasten der Chhetri und Brahmanen zogen hierher. Der zunehmende Wohlstand im Viertel drückt sich in soliden und geschmückten Gebäuden und Geschäften, teuren Automarken, horrenden Grundstückspreisen und einer steigenden Nachfrage nach Freizeitaktivitäten aus. Allerdings ist ein Graben zwischen ursprünglichen und zugezogenen Einwohner*innen spürbar, denn Begegnungsmöglichkeiten zwischen Kastenlosen, Angehörigen verschiedener Kasten und damit Einkommensschichten sind sehr begrenzt, soziale Erfolgsgeschichten von Kindern und Jugendlichen aus niederen Kasten und indigenen Familien gibt es kaum.

Ein Zuhause für Kinder von Strafgefangenen

PAM wirkt dem tatkräftig entgegen. Die Organisation wurde Anfang 1990 gegründet. Es war die erste Nichtregierungsorganisation, die es Kindern von Strafgefangenen ermöglichte, in ein fürsorgliches Heim zu ziehen, statt wie sonst in Nepal üblich bei ihren Eltern im Gefängnis zu leben. Mit Zustimmung der Eltern nimmt PAM die Kinder in Obhut und bietet ihnen ein Zuhause und Bildung. Die ersten Jahre nach der Gründung waren herausfordernd, da die Kinder mit ihren Traumata kämpften. Gewalt, Frustration, Ablehnung, die sie im Gefängnis erlebt hatten, verfolgten sie.

Starke Vorbilder

Devaki Maya Shrestha ist eine junge Frau, die im Heim aufwuchs. Sie war sechs Jahre alt, als sie zu PAM kam. Ihr Vater wurde verhaftet und ihre Mutter hatte sie verlassen. Im Laufe der Jahre wurde PAM das Zuhause, das sie brauchte, und die anderen Kinder und die Mitarbeiter*innen wurden zu ihrer Familie. Mit der Zeit überwand sie ihre Traurigkeit und ihre Angst, verlassen zu werden. Heute ist sie eine gute Schülerin und engagierte Judoka. Devaki hatte starke und kämpferische Vorbilder bei PAM. Mit Manita Pradhan Shrestha zum Beispiel, die bis vor fünf Jahren ebenfalls noch bei PAM lebte, teilt sie mehr als nur die Liebe zum Judo.

Für Devaki erfüllte sich mit der Teilnahme am Judo-Seminar in Japan ein Traum.
Vier Männer und eine Frau in festlicher nepalesischer Kleidung stehen unter der nepalesischen Flagge auf einem Schiff, schwenken die Flagge und jubeln in die Kamera. Im Hintergrund auf einem Banner steht "Nepal" geschrieben.
Olympia 2024: Manita in Vertretung ihres Landes.

Wie Devaki wurde auch Manita als kleines Mädchen gemeinsam mit ihrem Vater inhaftiert. Wie sie wuchs sie bei PAM auf und entdeckte hier ihre Leidenschaft für den Judo-Sport. 2010 gewann sie ihre ersten Wettbewerbe. Sie machte weiter – von lokalen über regionale und nationale bis hin zu internationalen Wettkämpfen. 2017 gewann sie die Asian Championships für Nepal. Das war der erste Sieg Nepals nach 29 Jahren. Im gleichen Jahr wurde sie vom Nepalesischen Judoverband zur Judoka des Jahres gewählt. 2019 trat sie in die Polizei von Kathmandu ein, was ihr verbesserte Trainingsmöglichkeiten bescherte. Ihr Traum: Nepal bei den Olympischen Spielen zu vertreten. Ihre Bemühungen zahlten sich aus. Am 25. Juni 2024 erhielt die 25-Jährige die Nachricht ihrer Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris. Zwar verlor Manita den Wettkampf, doch auf ihre Leistung darf sie stolz sein. Für Devaki und andere junge Judoka ist sie eine Inspiration.

Die PAM-Kinder in ihrer Judoausstattung. Ganz rechts im Bild: Manita Shrestha, international PAMs erfolgreichste Judoka.

Selbstvertrauen durch Erfolge im Judo

Mithilfe eines Judo-Trainingsprogramms, das 2009 ins Leben gerufen wurde, haben die PAM-Kinder nach und nach gelernt, Erfolg zu erfahren und vor allem Selbstvertrauen zu entwickeln. Durch das Training mit Sensei Surya Narayan qualifizierten sich einige für nationale und internationale Judo-Wettbewerbe, so auch Devaki. Durch ihre Judo-Leistungen wurden die PAM-Kinder und Jugendlichen von Außenseiter*innen zu Gewinner*innen. Nicht nur im Judo, sondern vor allem im Leben. Alle Kinder verbesserten ihre schulischen Leistungen deutlich. Ihr Selbstbewusstsein und ihr Austausch mit anderen Kindern aus der Schule und aus ihrem Viertel haben eine neue Qualität. Sie sind begeisterungsfähig, motiviert und diszipliniert – und sie haben begonnen, an ihre eigenen Fähigkeiten zu glauben.

Das Judo-Training baut Brücken

Die Leistungen der Kinder und Jugendlichen sind über das Stadtviertel hinaus in der gesamten Hauptstadt bekannt geworden. Andere Familien wollen ihren Kindern nun ähnliche Erfolgserlebnisse ermöglichen. So begannen neben den aktuell 28 PAM-Kindern weitere zwölf Kinder und Jugendliche in der kleinen Trainingshalle des Heims zu trainieren. Inzwischen wollen 25 weitere Kinder mittrainieren. Während der Großteil der Kinder bislang aus indigenen Familien und niedrigeren Kasten stammte, gibt es nun auch einige aus Familien hoher Kasten; aus Familien, die sich dafür entschieden haben, die Kastentrennung zu ignorieren und ihren Kindern die Chance zu geben, Vorurteile und soziale Tabus zu überwinden.

Gemeinde- und Sportzentrum

In den letzten Jahren wurde der Bau einer neuen Halle notwendig. PAM besitzt ein Grundstück, auf dem ein Sportzentrum mit einer großen Trainingshalle entstehen kann. In den letzten acht Jahren hat die Organisation mit viel Mühe nach Finanzierungsmitteln gesucht, um diese Halle bauen zu können. Dank einer großzügigen Spende wird aus dieser Hoffnung nun Realität. Der Bau des Sport- und Gemeindezentrums mit Trainingshalle hat Anfang Mai 2023 begonnen und wurde Ende Juni 2024 erfolgreich abgeschlossen. Hier wird Devaki Maya Shrestha ihren Traum verwirklichen. Sie möchte Judo-Lehrerin für Kinder und Frauen aus dem Viertel werden. In der sehr traditionsverhafteten, von Männern dominierten nepalesischen Gesellschaft ist häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder weit verbreitet. Deshalb wollen mehr Frauen Techniken der Selbstverteidigung erlernen.

Damit Gemeinschaft entstehen kann

Das neue Sport- und Gemeindezentrum wird Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten zwischen Kindern und zwischen Erwachsenen aus der Umgebung ermöglichen, ungeachtet ihres sozialen und wirtschaftlichen Status. Gleichzeitig werden Computerkurse, Englischunterricht und urbaner Gartenbau angeboten. In Rani Ban entsteht eine Gemeinschaft.

Wir benötigen rund 15.000 Euro für die Ausstattung des Sport- und Gemeindezentrums mit Judomaterialien, Sportgeräten, Lehrmaterialien und Computern.

Für die laufenden Heimkosten werden pro Kind monatlich 88 Euro benötigt.

Spendenzweck

Nepal: Judo-Gemeindezentrum F163
Nepal: Kinderheim F163

Konto: DE05 4306 0967 0012 3300 10