Das Recht auf ein Leben in Würde ist nicht verhandelbar
Ein Gespräch über Hoffnung, Solidarität und die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit
10.12.2024
Das jährliche Werkstattgespräch der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung ist mehr als nur eine Gelegenheit zum Austausch – es ist ein Raum für offenes Denken, ein Denken ohne Geländer, das Teilnehmende dazu anregt, tief in die drängenden Fragen der Gegenwart einzutauchen und nach Lösungen für die Zukunft zu suchen. Dazu kamen die Mitarbeitenden und Gremienmitglieder der Stiftung zusammen. Wir luden Vertreter*innen von Organisationen ein, die zu Flucht und Migration arbeiten; zum Rechtsruck in der Gesellschaft; zu Seenotrettung sowie junge Vertreter*innen von Organisationen der Zivilgesellschaft wie Mission Lifeline, Ende Gelände, Fridays for Future.
In Vorbereitung konfrontierten wir unsere Kooperationspartner mit zehn gesprächsleitenden Fragen, entlang derer wir das Werkstattgespräch strukturierten und baten um ihre Antworten (rechts zum download). Dies ausgehend von der Überzeugung, dass in der aktuellen Zeit, in der sich politische und gesellschaftliche Krisen überschlagenes von großer Bedeutung ist, gemeinsam in ernsthafte Gespräche zu kommen.
Unter dem Titel „Das Recht auf ein Leben in Würde ist nicht verhandelbar“ ging es beim Werkstattgespräch 2024 um die Herausforderungen und Chancen, die die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit betreffen. Inmitten einer Welt, die von politischen Spaltungen, globaler Ungleichheit und der Zunahme autoritärer Tendenzen geprägt ist, bot das Werkstattgespräch eine Gelegenheit, Entwicklungstendenzen zu beleuchten und zu hinterfragen, gegen gängige Narrative und mit diesen einhergehende „Grenzziehungen“ anzugehen, die immer mehr den öffentlichen Diskurs dominieren.
Anstöße
Die Teilnehmenden des Werkstattgesprächs stellten sich entschlossen der zunehmenden Tendenz, weltweite und gesellschaftliche Fragen in enge, nationalistische Kategorien zu zwingen. In einer Zeit, in der sich populistische und autoritäre Bewegungen weltweit verstärken, war das Werkstattgespräch ein klarer Anstoß gegen diese Grenzziehungen. Die Frage, wie wir als globale Zivilgesellschaft die Verantwortung für das Wohl der Menschen im Norden wie auch im globalen Süden weiterhin wahrnehmen können, wurde intensiv diskutiert. Besonders deutlich wurde, dass der Weg zu einer gerechteren Zukunft nur durch die Überwindung dieser selbst auferlegten Grenzen und die Förderung globaler Solidarität führen kann.
Narrative brechen
Ein weiterer zentraler Punkt des Werkstattgesprächs war das Brechen von Narrativen, die die internationale Zusammenarbeit oft als einseitige Hilfeleistung statt als gegenseitigen Lernprozess darstellen. Unsere Partnerorganisationen in drei Kontinenten, betonen immer wieder, dass Entwicklung keine lineare Geschichte von „unterentwickelt“ „entwickelt“ ist, sondern ein komplexer und fortwährender Prozess, der auf gegenseitigem Austausch basiert. Wie Herr Ngugi Mutura, Leiter von SACDEP (Sustainable Agriculture Development Programm) in Kenia, treffend formulierte: „Es gibt keine entwickelte und unterentwickelte Welt. Es gibt nur eine schlecht entwickelte Welt.“ Dies fordert uns heraus, die vorherrschenden Narrative über Armut, Entwicklung und soziale Gerechtigkeit zu hinterfragen und durch neue Perspektiven zu ersetzen. Diese neuen Narrative, die von den Erfahrungen und der Arbeit unserer Partner inspiriert sind, ermöglichen es uns, eine gerechtere, solidarische und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit zu gestalten.
Zivilgesellschaft gerade jetzt
In einer Zeit des zunehmenden Rechtsrucks und wachsender sozialer Ungleichheiten kommt der Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle zu. Das Werkstattgespräch unterstrich die dringende Notwendigkeit, dass wir als Teil der Zivilgesellschaft gerade jetzt eine starke, unmissverständliche Stimme erheben müssen, um für die Rechte und die Würde aller Menschen einzutreten. In einer Welt, in der politische und soziale Verwerfungen zunehmen, ist die Zivilgesellschaft der Ort, an dem Grenzen überwunden und Narrative neu erzählt werden können.
Es gab manch einen Aha-Effekt unter den Teilnehmenden, wenn beispielsweise Narrative wie „aufgrund der Investitionen in unsere Sicherheit werden Budgets für Entwicklungszusammenarbeit gestrichen“ – hinterfragt wurden. Ist Sicherheit nicht gerade Investition in Bildung, Investition in Gesundheit, Investition in öffentliche Infrastruktur? Die Frage, wie wir die internationale Zusammenarbeit auch angesichts wachsender nationalistischer Strömungen aufrechterhalten können, war eine der zentralen Fragestellungen. Es wurde klar, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft nicht nur als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit unverzichtbar sind, sondern auch als aktive Akteure, die die Richtung und die Vision einer solidarischen, zukunftsfähigen Welt entwerfen und mitgestalten.
Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit: gemeinsam handeln
Das Werkstattgespräch machte auch deutlich, dass die Herausforderungen, vor denen wir als globale Gemeinschaft stehen, nur durch gemeinsames Handeln bewältigt werden können. Die Frage, wie Entwicklungszusammenarbeit in einer zunehmend fragmentierten Welt aussehen wird, wurde intensiv erörtert. Dabei wurde klar, dass es nicht nur um finanzielle Unterstützung geht, sondern auch um das gegenseitige Lernen und die Stärkung von Partnern im globalen Süden. Das Werkstattgespräch zeigte uns, wie wichtig es ist, eine Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen, die auf Kooperation, Vertrauen, Augenhöhe und einem klaren Bekenntnis zu den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Solidarität beruht.
Fazit: Ein Aufruf zur Solidarität und zum Handeln
So war das Werkstattgespräch 2024 ein kraftvolles Signal für die Bedeutung von Austausch und Solidarität. Der intensive gemeinsame Austausch gab uns die Gelegenheit, uns individuell als Teil einer Gemeinschaft mit gleichen Anliegen zu verstehen und zu verdeutlichen, wie wir auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit mit gängigen Narrativen umgehen wollen, welche Kooperationen wir mit anderen Organisationen eingehen möchten, um auch hier die Zivilgesellschaft als treibende Kraft für eine gerechtere und solidarischere Zukunft zu stärken. Die Prinzipien von Hoffnung, Solidarität und gemeinsamer Verantwortung leiten uns in diesem Prozess und bestärken uns darin, nicht nur zuzusehen, sondern aktiv an einer besseren Zukunft zu arbeiten – im Dialog, im Austausch und im gemeinsamen Handeln.