Der Weg von ACICA-Gründer Víctor Acosta Sánchez
28.07.2025
Als Víctor Acosta Sánchez sich als 22-Jähriger auf der Suche nach Bildung aus seinem Heimatdorf aufmacht, führt sein Weg ihn mit den Schicksalen der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in den Bergdörfern der Anden Nordperus zusammen. Sie alle haben mit Trockenheit, Erosion und Abholzug zu kämpfen. So macht er sich daran, gemeinsam mit ihnen Lösungen zu schaffen – gegen die Folgen des Klimawandels, für eine umweltverträgliche Landwirtschaft.
Hier berichtet er von seinem eindrucksvollen Lebensweg, der ihn aus seinem Bauerndasein in einem abgeschiedenen Bergdorf über mehrere Studienabschlüsse bis zur Leitung der wichtigsten Institution für die Bäuerinnen und Bauern der Region Cajamarca führte. Bis zum heuigen Tag hat sich der heutige Direktor der Asociación Civil Caminando (ACICA) der ökologisch, ökonomisch und sozial tragfähigen Entwicklung der Bergdörfer verschrieben.
Der Weg entsteht, indem man ihn geht
Vor ungefähr 34 Jahren verließ ich Licliconga, meine Heimat, ein kleines Dorf, eines der abgelegensten der Provinz, von den Regierungen vergessen, um meinen Weg vom Land in die Stadt auf der Suche nach Bildung zu bahnen. Mit 22 Jahren wurde ich von Padre Rudi und Fräulein Anne, seiner heutigen Ehefrau, in der Pfarrei von Ichocán und in der Schule Alcides Vásquez, später Jesús de Nazareth genannt, aufgenommen.
Für einen jungen, 22-jährigen Bauer, der zum ersten Mal sein Dorf verließ und keine konkreten Ziele im Leben hatte, wären fünf Jahre Schule in einer unbekannten Stadt nicht möglich gewesen ohne Resilienz und die ständige Ermutigung durch unvergessliche Freunde. Dazu zähle ich Rudi, Anne, Mechthild, sowie die Schwestern Jesu: María Paz, Magdalena, Elizabeth, Victoriña, Camila und viele andere, die geholfen haben und weiterhin helfen, neue Wege zu ebnen auf dem Weg zu einer besseren Welt.

Vorbei an Lagunen und über grüne 3.800er-Berge
Um von Licliconga nach Ichocán und in die Stadt San Marcos zu gelangen, musste man zwei Berge von über 3800 Metern über dem Meeresspiegel überqueren. Damals waren diese Berge noch von Flora und Fauna bedeckt. An einigen Stellen gab es keine festen Pfade – man suchte und fand sie, um voranzukommen.
Die Regenzeiten waren konstant, die Jahreszeiten zuverlässig, in den Bergen gab es ganzjährig Lagunen. In den tief gelegenen Regionen war Wasser reichlich vorhanden – es fehlte nie, und weder Menschen noch Tiere oder Pflanzen litten unter Trockenheit.

Klimawandel erfordert neue Wege in den Bergen
Seitdem sind 34 Jahre verstrichen, und die Berge, die einst von üppiger Vegetation und Tierwelt dieser Region bedeckt waren, werden heute von Migrantinnen und Migranten aus den tieferen Regionen bewohnt. Es gibt keine Flora und Fauna mehr, geschweige denn Lagunen. Der Wasserverbrauch ist drastisch zurückgegangen, um nicht zu sagen verschwunden. Nicht nur die Menschen in der Stadt und auf dem Land sind betroffen, sondern auch die Landwirtschaft. Die Zunahme von Schädlingen und Pflanzenkrankheiten, Parasiten und Tierkrankheiten verschärft die Lage zusätzlich.
Dies sind Zeiten, in denen wir uns anpassen und lernen müssen, um zu leben. Aber auch Zeiten, in denen wir Lösungen finden müssen. Das bedeutet: neue Wege in den Bergen zu erschließen, indem wir diese eröffnen.
Rückkehr von der Stadt aufs Land
Nachdem ich die Sekundarschule am Colegio Jesús de Nazareth abgeschlossen hatte, stellte ich mir die Frage, was ich tun sollte: Ins Priesterseminar eintreten? An der Universität studieren? Nach Licliconga zurückkehren? Trotz seines Wissens und seiner Verbundenheit zur Landwirtschaft und Kultur konnte ein 26-Jähriger ohne finanzielle Mittel diese Optionen nicht umsetzen.
Inmitten dieser Unsicherheit erschien erneut Rudi, wie ein Funke Licht, mit seinem Vorschlag, die Bauern bei der Lösung drängender Probleme wie Wassermangel, Bodenerosion und Abholzung zu unterstützen. Im Jahr 1993 starteten wir mit Rudi und Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus der Region kleine Aufforstungsprojekte. Wir haben in einigen ländlichen Gemeinden von San Marcos Baumschulen für Quinual, Aliso und andere Baumarten errichtet, die sich hauptsächlich in den Quellgebieten der Wassereinzugsgebiete befinden.
Im Verlauf dieses Projekts erweiterten wir unsere Tätigkeit auf die Schaffung kleiner Infrastrukturen zur Lagerung qualitativ hochwertiger, meist lokaler Saatgutsorten, die wir „Saatgutbanken“ nannten. Später stellten wir fest, dass ihre Effektivität stark von der Struktur und Ausbildung der Menschen in jeder Gemeinde abhängt.

Erster Kontakt mit der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung
Wir versuchten, lokale Produkte, die in den Gemeinden eine lange Tradition haben, einen Mehrwert zu verleihen, indem wir Mühlen in zwei Dörfern installierten. Diese funktionierten mit Höhen und Tiefen. Die Dorfbewohner begannen, Futtermittel für ihre Tiere herzustellen, während andere Getreide mahlten und diese dann zu gerechteren Preisen auf den Märkten gegen andere Produkte eintauschten. Bei einer Wartung der Mühle kam es zu einem tragischen Unfall, bei dem ein kleiner Junge seine Hand verlor. Dies beeinträchtigte seine Fähigkeit, als Landwirt zu arbeiten, stark. Heute studiert dieser Junge an der Universität, und wir hoffen, dass er sich uns in Zukunft anschließen wird, um gemeinsam weiterzukommen.
In unseren weiteren Bemühungen, neue Wege zu schaffen, trafen wir auf Dr. Annette Massmann und ihre Organisation GLS Zukunftsstiftung Entwicklung. Nach einer achttägigen Reise durch Regen, Sonne und Dunkelheit auf den Bergpfaden von San Marcos, um die von Rudi, Anne und Mechthild begleiteten Gemeinden zu erreichen, schloss sie sich mit vollem Herzen und Engagement unserer Arbeit an, um neue Wege für eine gerechtere und solidarischere Gesellschaft zu schaffen.
ACICA: wichtigste kleinbäuerliche Institution der Region
Auf Initiative von Dr. Annette Massmann wurde im Jahr 2009 die Organisation ACICA – Asociación Civil Caminando gegründet, mit vier Mitgliedern aus verschiedenen ländlichen Gemeinden: Gabino Espinoza Muoz, Marcelino Flores Cabanillas, Santos Abanto Romero und mir selbst. ACICA ist heute die wichtigste und anerkannte Institution der Bäuerinnen und Bauern in der Provinz San Marcos und der Region Cajamarca.
Mit einem Team von Fachkräften, die die ländlichen Agrarprobleme bestens kennen, erschließt die Organisation vier essenzielle Bereiche für das Leben: Wasserwirtschaft, Landwirtschaft, Viehzucht und Forstwirtschaft. Darüber hinaus setzen wir uns für die Verteidigung der Rechte der Landbevölkerung ein.
Leben mit der Wasserknappheit
Auf diese Weise unterstützen wir mehr als tausend bäuerliche Familien in der Provinz San Marcos bei ihrem Streben nach verbesserten Lebensbedingungen und einem Leben in Würde. In Zeiten des Klimawandels müssen wir lernen, mit den Veränderungen umzugehen – aber vor allem müssen wir konkrete Maßnahmen ergreifen und langfristige Lösungen finden.
Wie überall auf der Welt ist auch in San Marcos die Wasserknappheit alarmierend. Regenfälle sind selten, dauern nur wenige Minuten und verschwinden wieder oder sind so stark, dass sie Erdrutsche und Überschwemmungen verursachen. Zudem sind die meisten natürlichen Wasserquellen inzwischen verschwunden.

Brunnen sammeln Regenwasser von den Dächern
Um trotzdem Wasser zu bekommen, werden unterirdische Gruben gebaut, die mit Geomembranen ausgekleidet sind und den Bäuerinnen und Bauern ermöglichen, Regenwasser von ihren Dächern zu sammeln. Das Wasser wird in Trockenzeiten verwendet, um Lebensmittel zuzubereiten, Wäsche zu waschen, für die Tiere oder sogar, um Gemüse anzubauen.
Durch ACICA wird diese Methode zur Wasserkonservierung weiter verbessert: Es werden Zementbrunnen gebaut, Regenrinnen an den Hausdächern installiert und das gesammelte Wasser in den Brunnen gespeichert. Das Wasser kann für den Haushalt, den Anbau von Gemüse und in einigen Fällen auch für die Tröpfchenbewässerung von Obstbäumen verwendet werden.

Wasserspeicher für Tiere und Felder
Die Versiegelung der Wasserquellen zerstört die traditionellen Tränken, die früher die Tiere der ländlichen Bevölkerung mit Wasser versorgten. Ein Großteil der Tränken ist nicht mehr funktionsfähig oder existiert nicht mehr. Dies führt dazu, dass das wenige verbliebene Wasser versickert, verdunstet oder verschmutzt wird. Dadurch werden die Tiere häufiger krank und in einigen Fällen sterben sie. Um dieses Problem zu lösen, baut ACICA gemeinschaftliche Zementtränke an öffentlichen Orten. Diese verhindern die Versickerung, reduzieren die Verdunstungskälte und schützen das Wasser vor Verschmutzung. Dadurch bleibt das Wasser für die Tiere sauberer, was Krankheiten verhindert und die Sterblichkeit verringert.
Die Wasserknappheit beeinflusst auch die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern auf ihren Feldern. Die Qualität des Wassers ist nicht mehr so, wie es einst war. Deshalb müssen sie jede noch so kleine Menge Wasser sammeln und alternative Bewässerungstechniken nutzen. Einige Bäuerinnen und Bauern in San Marcos bauen daher mit ACICA gemeinsam Wasserreservoirs, die mit Geomembranen ausgekleidet sind. Darin wird Wasser aus kleinen Quellen und Regenfällen gespeichert, um es für Tropf- oder Sprühbewässerung zu nutzen. Die Bewässerung erfolgt in regelmäßigen Abständen, meistens alle acht bis fünfzehn Tage pro Familie oder je nach Bedarf.

Überleben erfordert Anpassung
Die Sonneneinstrahlung ist in der Zeit von Dezember bis Februar extrem hoch. An manchen Tagen ist es zwischen 11 und 15 Uhr unmöglich, sich ihr auszusetzen. Einige Gemeinden in San Marco haben ihre Arbeitszeiten daher angepasst: Sie arbeiten von 5 bis 11 Uhr und dann wieder von 15 bis 19 Uhr. Mit anderen Worten: Sie passen sich den klimatischen Bedingungen an.Doch der Boden wird von Jahr zu Jahr unfruchtbarer. Die Bauern beklagen sich darüber, dass ihr Feld nicht mehr die Erträge erzielt, die sie früher erzielt haben und heute mehr Dünger verwendet werden muss, um es fruchtbar zu machen. Über die Jahrzehnte hinweg wurden hauptsächlich chemische Düngemittel verwendet, die kurzfristig Erträge sichern und die Ernährung der Familie ermöglichen, jedoch langfristig nicht gesund sind.

Das Problem an der Wurzel angehen
Es handelt sich um eine Anpassung an die Umstände, ohne das Problem an der Wurzel zu lösen. Hinzu kommen ungeeignete Anbaupraktiken, die die Erhaltung des Bodens nicht so berücksichtigen wie es unsere Vorfahren in den peruanischen Anden und dem Tahuantinsuyo, dem Inkareich, taten.
Im Zuge des Klimawandels treten neue Krankheiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen auf. Um überleben zu können, greifen wir auf chemische Mittel zurück. Die Behandlung kann zwar kurzfristig die Symptome lindern, führt aber häufig zu anderen Beschwerden oder Krankheiten. Gleichzeitig profitieren einige – insbesondere die Pharmaindustrie – von den Krankheiten, dem Leiden und den Nöten anderer.
Aufforstung und organischer Dünger für eine gesündere Umwelt
Wir von ACICA denken: Es reicht nicht, nur an den Klimawandel zu denken oder mit ihm zu leben. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Individualismus, die Nutzung von natürlichen Ressourcen und der Abbau von Böden sind die Hauptgründe für Entwaldung, Wasserknappheit, Umweltverschmutzung, das Aussterben von Tierarten, aber auch die Zunahme von Schädlingen und Krankheiten sowie Gewalt und Korruption als zentrale Probleme, die von Grund auf bekämpft werden müssen. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass die Ursache dieser Probleme der Mensch selbst ist.
Mit Hilfe von ACICA werden die Berge von San Marcos mit einheimischen Bäumen wie Quinual, Aliso, Sauco, Pauco, Shita, Quishar und Shirac aufgeforstet. Diese gelten in der andinen Kosmovision als wasseranziehende Pflanzen. Zusätzlich pflanzen wir Kiefern und in bestimmten Gebieten auch Eukalyptusbäume, insbesondere in Regionen, die für den Ackerbau ungeeignet sind. Damit greifen wir das Problem an der Wurzel an: die Wasserknappheit, das Verschwinden von Wildtieren und die CO₂-Emissionen, die das Klima der Erde belasten.
ACICA hilft Landbevölkerung, den Abfall zu reduzieren
Dem exzessiven Einsatz chemischer Stoffe wie Pestizide, Insektizide und Plastik stellen wir und über tausend ländliche Familien in San Marcos die Herstellung organischer Düngemittel, Insektizide und Fungizide aus Tiermist, Ernteabfällen und einheimischen Pflanzen entgegen. So wachsen gesündere Lebensmittel während die Verschmutzung des Bodens sinkt.
Auch die Wasserverschmutzung ist ein Problem, das es zu lösen gilt. ACICA unterstützt die ländliche Bevölkerung dabei, den Plastikverbrauch und die Abfallproduktion im Alltag zu reduzieren. Biologisch abbaubare Materialien können als Dünger für die Landwirtschaft verwendet werden, während nicht abbaubare Materialien sicher entsorgt werden sollten, um ihre Ausbreitung und die Umweltverschmutzung zu verhindern.

Mit dem Erbe der Vorfahren Zukunft gestalten
Der Schutz des Territoriums vor extraktiven Industrien, die Wasser, Boden und Luft verschmutzen, ist entscheidend. ACICA unterstützt daher die Organisation von Rondas Campesinas – bäuerlichen Selbstverteidigungsgruppen –, die sich nicht von parteipolitischen Interessen leiten lassen, sondern ihre ursprünglichen Ideale bewahren. Sie spielen eine wichtige Rolle bei diesem Kampf, da sie in der Lage sind, soziale Probleme und Konflikte schnell und ohne finanzielle Mittel und Anwälte gerecht zu lösen – im Gegensatz zum traditionellen Justizsystem.
Die Luftverschmutzung durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe ist ein weiteres globales Problem, das an seiner Wurzel bekämpft werden muss. ACICA setzt sich dafür ein, den unnötigen Gebrauch von Fahrzeugen zu reduzieren, um den Treibstoffverbrauch zu verringern. Auch das bewusste Ausschalten elektronischer Geräte, wenn sie nicht gebraucht werden, ist essenziell.
„Wir müssen unsere wahre menschliche Essenz wiederfinden“
Abschließend lässt sich sagen: Es ist dringend notwendig, zu unseren Ursprüngen zurückzukehren, um unsere wahre menschliche Essenz wiederzufinden. Wir müssen auch die landwirtschaftlichen und Praktiken unserer Vorfahren überdenken – ihre Art der Organisation, ihre Gesetze, die Form der Rechtsprechung und ihr Wirtschaftssystem. Es gilt, das Beste daraus zu bewahren und gemeinsam eine würdevolle Zukunft für alle zu gestalten.
In diesem Sinne hoffen wir, dass sich weitere Menschen unserer Arbeit anschließen und gemeinsam mit uns den Weg beim Gehen erschaffen.
