Carlucho und der Schnauzbart

Ein ganz besonderer Wissenstransfer: Lehrinhalte aus Feldschulen werden in abgelegenen Bergdörfern der peruanischen Hochanden durch Theatervorstellungen zu Kulturgut.

Ein Frühlingstag in Peru. Die Sonne brennt, der Wind weht kalt und alles, was Beine hat, kommt im Gemeindezentrum von Jucat im Distrikt José Manuel Quiroz, Provinz Cajamarca, auf etwa 3.200 Metern Höhe zusammen. Es ist ein Feiertag: Die einen wollen die Erfolge ihrer bald vierjährigen Projektarbeit würdigen. Die anderen, insgesamt 97 Bergbäuer*innen, erwarten gespannt den Auftakt zu ihrem neuen Projektzyklus. Die Stimmung ist überschwänglich. Ein Trio aus Violine, Caja (eine Handtrommel) und Gesang preist die Schulungen und die Zusammenarbeit mit der Asociación Civil Caminando (ACICA). Ihre Lieder sprechen von dem Segen, Wasser, fruchtbare Gemüsegärten, Obstbäume, Hecken, Bäume und gesunde Tiere zu haben. Sie singen von Gesundheit dank der Wasserfilter, vom Genuss guten Essens, von der Milch für die Kinder. Ein Bänkelsänger preist den Fruchtsaft, der zum Likör wird und die Ehefrau verzaubert. Eine frohe Stimmung liegt in der Luft.

Dann erscheinen drei Personen auf der Straße, die als Bühne dient. Vor ihnen liegen ein großes Fass, gehäckseltes Gras und Stroh, ein Bottich voller Melasse, ein Ei, ein Tütchen weißlichen Pulvers und verschiedene Kräuter. Eine trägt eine Schärpe mit dem Schriftzug „Präsidentin“. Die anderen zwei sind offensichtlich als Männer verkleidete Frauen in dicker Motorradkluft; die eine mit überdimensioniertem Schnauzbart, „Bigotico“, die andere mit bunter Perücke, Sonnenbrille und dem Schriftzug „Carlucho“ auf der Montur. Sie spielen die Ausbilder von ACICA. Kaum erscheinen sie, geht eine liebevolle Welle des Lachens durch die Zuschauenden.

„Carlucho“ eröffnet die „Schulung“ mit tiefergelegter, sonorer Stimme und der Frage, ob sie denn noch wüssten, wie das Kraftfutter – wohlgemerkt für Tiere – zubereitet werde. Immerhin sei nun, am Winterende, das Gras vertilgt und man müsse etwas zusetzen können. Eilfertig erklärt die „Präsidentin“, sie alle hätten sich versammelt, um nochmals zu üben und sich am Wohlklang seiner Stimme zu laben. Pikiert wirft „Bigotico“ ein, dass es um Wissen und nicht um Stimmungen gehe – die Gemeinde kugelt sich vor Lachen.

Spielerische Wissensvermittlung

Es entspinnt sich ein Drama um die Fähigkeit, Kraftfutterkonzentrat für Rinder aus eigenen Mitteln zubereiten zu können. Es geht um seine großartige Wirkung auf Gewicht und Gesundheit der Tiere und seine verstärkende Wirkung für das soziale Miteinander. Ganz nebenbei wiederholen die Darstellerinnen die Bestandteile des Konzentrats, wiegen die Zutaten ab und mixen sie. Sie enthüllen, dass es sich bei dem weißlichen Pulver um eine Mischung aus Mineralstoffen und Salz handelt. Anschließend verfeinern sie die gut durchwalkte Masse mit Kräutern und einem Ei. Das Publikum kommentiert lautstark, feixt, lacht und freut sich. Die echten Ausbilder von ACICA, Carlos (Carlucho) und Ilmer (Bigotico), wirken erst etwas verschämt und dann stolz auf den freundschaftlichen Respekt, den ihnen die Menschen entgegenbringen. Die Botschaft ist angekommen. Das Wissen gefestigt.

Mehr zu ACICA

Die Asociación Civil Caminando – ACICA ist eine gemeinnützige Organisation, die seit 2009 in der Stadt San Marcos in der Region Cajamarca tätig ist. Sie engagiert sich mit nachhaltigen Landwirtschafts- und Gemeindeentwicklungsprojekten in den Bergbauerndörfern rund um San Marcos. Abholzung und veränderte Niederschlagsmuster vermindern die Fruchtbarkeit der Böden und die landwirtschaftlichen Erträge sinken stetig. ACICA verbindet traditionelles Wissen mit modernen Methoden des organischen Landbaus, um diese weit abgelegenen, teilweise nur mit Pferd oder Muli zu erreichenden Gemeinden verbesserte Anbautechniken zu vermitteln. Der Lehrplan von ACICA ist auf diese Lebensbedingungen abgestimmt: Kombiniert wird der Aufbau kleiner Staubecken, um Wasser zu sammeln, mit organischem Landbautraining, Wiederaufforstung und Verbesserung der Kleintierzucht, insbesondere von Meerschweinchen. ACICA wird bisher von einem Team von acht Voll- und Teilzeitkräften sowie Honorarkräften betrieben. Sechs der Mitarbeiter haben eine Ausbildung und/oder langjährige Erfahrung in nachhaltiger Landwirtschaft, eine Mitarbeiterin ist in Buchhaltung und Finanzmanagement qualifiziert. Der Großteil der Mitarbeiter*innen kommt aus der Region. Durch Training, Investitionen und Umsetzungsbegleitung unterstützt ACICA zurzeit zwölf marginalisierte Gemeinden, in denen etwa 4.100 Menschen leben.

Víctor Acosta Sánchez, Direktor der Asociación Civil Caminando (ACICA), besuchte dank der Unterstützung und Ermutigung eines deutschen Priesters eine Grundschule im Dorf Licliconga, die er über lange Fußwege in den Hochanden erreichte. Seinen ersten Uni-Abschluss erreichte er an der Nationalen Universität von Cajamarca, fügte später einen Master in Entwicklungspolitik und –planung hinzu und promovierte schließlich im Bereich Umweltmanagement. Zudem war er Führer einer der "Rondas Campesinas", selbstständige Bauernorganisationen im ländlichen Peru, die ursprünglich als Selbstverteidigung gegen Diebstahl, insbesondere von Rindern, konzipiert waren. 2008 lernte er Dr. Annette Massmann von der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung kennen. Zusammen besuchten sie verschiedene Gemeinden in der Provinz San Marcos. Nach diesen Besuchen gründete Víctor Acosta Sánchez 2009 zusammen mit anderen Bauernführern ACICA. Er ist stolz darauf, mit ACICA und lokalen Bäuer*innen in ländlichen Gemeinden zusammenzuarbeiten, vor allem wegen ihrer ambitionierten Ziele: dem Schutz von Land, Wasser, Flora, Fauna und Luft.

Victor Acosta, Direktor von ACICA (rechts), begutachtet das Bewässerungssystem eines Bauern auf über 3.000 Metern Höhe
„Carlucho“ (mit Perücke) und „Bigotico“ (mit Schirmmütze und grüner Weste) fragen das Wissen der Bergbäuer*innen zur Herstellung von Kraftfutter ab

In den nächsten drei Jahren möchten Carlos und Ilmer mit ihren Kollegen in 13 neuen Gemeinden der Hochanden 403 Feldschulungen durchführen. Nicht nur Futterkonzentrate, sondern auch Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, Herstellung organischer Düngemittel, natürlicher Pestizide und Insektizide, Erhalt eigenen Saatguts, Anbau in Fruchtfolgen und Schulungen zu Tierzucht und -gesundheit gehören zum Lehrplan. Dazu kommen Investitionen in Wasserinfrastruktur und Aufforstung. Sie sind sich sicher: Ihr Wissen erreicht die Menschen und wird in Alltag und Kultur angewendet. Und das zum Wohl von Pflanzen, Tier und Mensch.

Für Feldschulen, Personalkosten und Schulungsmaterial benötigt ACICA insgesamt 84.603 Euro. Davon profitieren 13 Gemeinden. Das Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) bezuschusst. Ihre Spende wirkt damit vierfach.

Spendenzweck

Peru: ACICA Feldschulen F350P