Ausbilden statt strafen
18.03.2024
Seit über 20 Jahren arbeitet unsere kenianische Partnerorganisation RODI (Ressources Oriented Development Initiatives) mit Strafgefangenen. Armut führt oft zu Delikten. Rückfälle sind die Regel. Doch es geht auch ganz anders. Ein Beispiel.
Fast wäre Gidraph Gathenya Kimondo am Gefängnis zerbrochen. 2007 wurde er zu zwölf Jahren Haft verurteilt. 2013, als er zum ersten Mal mit RODI in Kontakt kam, war er kurz davor aufzugeben. Er erwog Suizid als letzten Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit, die jeden seiner Tage bestimmte. Zwar haben die Gefängnisse, in denen RODI arbeitet, in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, dennoch sind die Bedingungen extrem hart, Hygiene und Versorgungslage mangelhaft, Gewalt prägt den Alltag.
Die kenianische Entwicklungsorganisation Resources Oriented Development Initiatives (RODI) arbeitet seit 1989 erfolgreich für eine höhere Nahrungsmittel- und Einkommenssicherheit und damit verbunden für eine Verringerung der Kriminalitätsrate in Kenia. RODI hat tausenden Menschen, die aufgrund von Armutsdelikten zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, geholfen, aus dem Zirkel von Armut und Kriminalität zu entkommen. Die 1999 als NGO registrierte Organisation arbeitet derzeit mit 28 Gefägnissen, 40 Schulen und 39 Gemeindegruppen in den acht Distrikten Kisumu, Kakamega, Nandi, Uasin Gishu, Turkana, Nairobi, Kiambu and Nyeri. Dabei stehen Schulungen für Strafgefangene und Strafvollzugsaufsehern im Zentrum ihrer Tätigkeiten. Insbesondere in praktischen Fähigkeiten des organischen Landbaus, aber auch in der Kleinproduktion von verschiedenen Alltagsprodukten, der Herstellung von Sandalen oder Vermittlung von Computer-Basiswissen und Buchhaltungskompetenzen gehören zu den Inhalten der verschiedenen Ausbildungen. Diese helfen den Menschen, nach ihrer Entlassung die Stigmata durch das Umfeld zu überwinden und eigenständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Eliud Ngunjiri war Fachmann für Gemeindeentwicklung mit langjähriger Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit. Er gründete und leitete RODI (Resources Oriented Development Initiatives) bis zu seinem Tod 2021. Sein akademischer Hintergrund lag im Bereich Range Management und ländliche Entwicklung. Er hat in Kenia und in England studiert. 14 Jahre lang arbeitete er bei OXFAM Großbritannien. In dieser Zeit hat er sich immer wieder gefragt, warum die Armut trotz der Anstrengungen, der Entschlossenheit und der Ressourcen, mit denen sie bekämpft wurde, weiter zunahm. Er setzte sich mit diesen Fragen auseinander. Der von ihm entwickelte Ansatz RODA, ein ressourcenorientierter Entwicklungsansatz (Resource Orientated Development Approach), liegt der Arbeitsweise RODIS zugrunde.
Die Geschichte von Gidraph Gathenya Kimondo
Gidraph Gathenya Kimondo war Farmer, bevor er ins Gefängnis kam. Über den Grund für seine Verurteilung spricht er nicht. Was für ihn zählt, ist die Ausbildung, die er von RODI erhielt. Das war der Startpunkt in sein neues Leben.
Startpunkt in ein neues Leben
Zum ersten Mal begegnete er Ausbilder Peter Chege in einem Grundkurs, wie ihn RODI auch aktuell in 22 Gefängnissen durchführt. Gelehrt werden die Grundzüge des organischen Landbaus, dazu einfache Techniken zum Herstellen von Reinigungsmitteln und Seifen, Joghurt, Gebäck, Snacks; Dinge, mit denen man in den ländlichen Gemeinden Geld verdienen kann. Gidraph Gathenya saugte das Wissen auf. Sein Ausbilder Peter Chege machte den Gefangenen Mut, an die Zeit nach dem Gefängnis zu denken, Pläne zu schmieden.
Als es schließlich auf die Gefängnisfarm ging, um organischen Kaffeeanbau zu lehren, war Gidraph Gathenya endgültig Feuer und Flamme, denn seine kleine Heimatfarm liegt in Nyeri, einer Kaffeeanbauregion. Wie viele der Kleinbäuer*innen aus der Gegend hatte auch Gidraph Gathenya eine Parzelle dem Kaffeeanbau gewidmet. Die einfachen und kostengünstigen Methoden, die er von Peter Chege lernte, begeisterten ihn. Die Umstellung auf organischen Anbau, Nutzung organischer Pestizide und Düngemittel, einfache Wege, um Schädlingsbefall zu reduzieren, auch die Trocknung und Weiterverarbeitung der Kaffeebohnen, um beste Ergebnisse zu erzielen – all das erfüllte ihn mit Hoffnung und Tatendrang für sein Leben nach dem Gefängnis. Nach einem Jahr wurde er Hilfstrainer im Gefängnis und bildete selbst 40 Gefangene in den erlernten Techniken aus. Im dritten Jahr (Oktober 2015) wurde er nach einem erfolgreichen Berufungsverfahren vorzeitig aus der Haft entlassen.
Einkommen dank neuer Pflegetechniken
Gidraph Gathunyas Frau Tabitha Njeri hatte währenddessen die Farm so gut es ging weitergeführt. Für sie zählten die Nahrungsmittel zur Selbstversorgung. Der Kaffee war nie eine bedeutende Quelle für Einkommen gewesen. Die 200 Kaffeebüsche standen verwildert auf der kleinen Parzelle. Doch mit vereinten Kräften machten sich die beiden mit den neu erlernten Techniken ans Werk. Dies nicht nur beim Kaffeeanbau, sondern auch auf dem Gemüseacker, bei der Tierhaltung, bei der Herstellung von Seifen und Reinigungsmitteln für die Dorfgemeinschaft. Zunächst bildete er seine Frau aus. Doch schon bald sprach sich herum, dass es einen neuen Lehrer im Dorf Gikondi gab. Gerne lud Gidraph Gathunya die Nachbar*innen zu sich ein. Erst kamen sie zögerlich, dann immer überzeugter. Eine feste Gruppe bildete sich, die von Gidraph Gathunya geschult wurde. Peter Chege und das Team von RODI begleiteten diesen Prozess aktiv. Im ersten Jahr nach seinem Gefängnisaufenthalt ernteten Gidraph Ganthunya und seine Frau rund 350 Kilogramm Kaffee – etwas mehr als in den Jahren davor. Doch bereits im Folgejahr erzielten sie dank guter Düngung, korrekten Beschnitts, Schädlingsvorsorge und angepasster Lagerung 1.850 Kilogramm, 2018 waren es bereits 4.500 – von der selben kleinen Parzelle. Dieses Einkommen ermöglichte Gidraph Gathunya, das Schulgeld für die weiterführende Schule seiner zwei Kinder zu bezahlen.
Außerdem pachtete er ein weiteres Stück Land, auf dem er Gemüse für die Vermarktung anbaute.
Der Erfolg sprach sich herum: Heute wird Gidraph Gathunya als Ausbilder von immer mehr Gruppen angefordert. Bereits 80 Bäuerinnen und Bauern wurden von ihm im Kaffeeanbau geschult, 120 jugendliche Auszubildende an einer benachbarten Landwirtschaftsschule profitierten von seinem Wissen. Gleichzeitig ist er Peter Chege und RODI unendlich verbunden und dankbar: "Sie haben mir das Wissen gegeben und jetzt bin ich ein Lehrer und unterrichte andere. Das hätte ich mir nie träumen lassen."
92 Tonnen exzellenter Biokaffee
Die 80 ausgebildeten Kaffeebauern haben sich zur Karindi Organic Self Help Group zusammengeschlossen. Gemeinsam produzieren sie jährlich knapp 92 Tonnen biologischen Kaffee von 20.730 Bäumen. Wegen der hohen Qualität findet der Kaffee guten Absatz, jedoch wird er in den lokalen Kaffeefabriken mit dem herkömmlich produzierten Kaffee vermischt. Einen Abnehmer, der die Bioqualität zu schätzen weiß, sucht die Gruppe noch.
Seit 2013 arbeitet Peter Chege für RODI, er hat seitdem über 350 Gefangene in organischem Kaffeeanbau ausgebildet. Die durch RODI initiierten Gefängnisfarmen dienen als Ausbildungsstätte und sorgen für eine gesündere Ernährung in den Gefängnissen. RODIs Einsatz verbessert außerdem die Hygienesituation, da auch die Herstellung von Reinigungsmitteln unterrichtet wird. Bis Ende 2024 möchten wir zusammen mit RODI 800 Gefangene und 50 Wärter*innen in zehn Gefängnissen mit Ausbildungen erreichen. Rund 250 Ex-Häftlinge (Männer und Frauen) sollen in der Zeit bei der Wiedereingliederung in ihre Gemeinden begleitet werden.
Für diese Arbeit sind jährlich rund 40.000 Euro notwendig. Pro erreichter Person sind das rund 41 Euro im Jahr.