Ohne Ausweis keine Rechte
26.11.2024
Wie wichtig eine Geburtsurkunde, ein Personalausweis oder Pass ist, erfahren wir bei Reisen oder Behördengängen. Solche Dokumente zu haben, ist für die meisten Menschen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Nicht so für Frauen in Nepal.
In Nepal sind Frauen nach traditionellem Verständnis immer einem Mann zugeordnet. Je nach Alter und Lebenssituation ist das der Vater, Bruder oder Ehemann. Bis 2015 war es ihnen unmöglich, ohne Zustimmung und Hilfe ihres Mannes oder eines männlichen Verwandten eigene Ausweispapiere zu erhalten. 2015 wurde die Verfassung geändert; seither ist die Situation eine andere. Doch der aktuelle Text enthält weiterhin diskriminierende Elemente. Für viele Frauen bleibt es ein langer, schwieriger und teurer Weg, als Staatsbürgerin anerkannt zu werden.
Betroffene wenden sich an die Women's Foundation Nepal, vor allem Frauen, die mit ihren Familien gebrochen haben, weil sie Opfer häuslicher Gewalt wurden oder weil der Vater sie nie als Tochter anerkannt hat. Einige von ihnen kämpfen über Jahre dafür, eine Geburtsurkunde und damit die Anerkennung der Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Nur so erhalten sie einen Personalausweis und einen Reisepass. Bleiben ihnen diese Papiere verwehrt, können sie weder ein Bankkonto eröffnen noch studieren, ins Ausland reisen oder an Wahlen teilnehmen. Sie leben ohne institutionell anerkannte Identität und sind damit kein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft.
Um die Papiere zu bekommen, müssen die Frauen in ihre Herkunftsdörfer reisen und dort nachweisen, wer sie und ihre Eltern sind und wann sie geboren wurden, denn eine Geburtsurkunde ist der erste Schritt auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft.
An den Ort zurückzukehren, von dem sie einst geflohen sind, ist für viele eine psychische Belastung. Zudem legen häufig die eigene Familie, andere Dorfbewohner*innen oder Mitarbeitende der Behörden den Frauen Steine in den Weg. Von vielen werden sie als Abtrünnige oder Verräterinnen angesehen.
Was das heißt, zeigt das Beispiel der 20-jährigen Charu Ghimirie (im Bild oben links). Geboren als Kind seiner dritten Frau, erkannte ihr Vater sie nicht als leibliche Tochter an. Nach gewaltsamen Auseinandersetzungen und Misshandlungen verließ Charu mit 17 Jahren ihr Dorf in den Bergen. Sie erreichte die Women's Foundation in der Hauptstadt Kathmandu. Die Mitarbeitenden dort unterstützten sie, die Anerkennung ihrer Staatsbürgerschaft durchzusetzen. Ihr Vater ist ein einflussreicher Mann, der seinen Einfluss bei Behörden und Dorfbewohner*innen immer wieder geltend machte, um die Ausstellung der Geburtsurkunde zu verhindern. Jede Reise in ihr Heimatdorf war für Charu eine Tortur. „Wenn Geld spricht, bleibt die Wahrheit stumm“ ist das nepalesische Sprichwort, mit dem sie die Situation zusammenfasst.
Die Women's Foundation Nepal (WFN) wurde 1988 aus einer studentischen Initiative heraus gegründet und setzt sich seither für die Rechte und Lebensbedingungen von Frauen ein. So bietet sie auf individueller Ebene Frauen und Kindern Schutz in einem Frauenhaus begleitet von einer kostenfreien Rechtsberatung. Der Zugang zu Bildung, Einkommen schaffende Maßnahmen, wie auch Berufsausbildungen, befähigen die Frauen zu einer besseren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe. Ökonomisches Herzstück der Women's Foundation ist ihre Färberei und Weberei in Boudha, im Kathmandutal. Mit dem Verkauf der produzierten Waren erwirtschaften die rund 60 dort tätigen Frauen ihre faire Bezahlung. Zudem finanzieren die Erlöse anteilig die Betriebskosten für das Frauen- und Kinderhaus. Weitere Programme der Organisation sind Mikrokredite für Frauen, um ihnen einen Start in die Selbstständigkeit zu ermöglichen und die Durchführung von Gesundheitscamps mit kostenloser Beratung und Bereitstellung von Medikamenten in abgelegenen Dörfern und armen Vierteln Kathmandus. Auf nationaler Ebene setzt sich die Women's Foundation für die Gleichberechtigung von Frauen ein. Die GLS Zukunftsstiftung Entwicklung unterstützt die WFN durch Patenschaften für das Frauen- und Kinderhaus. Auch die Rechtsberatung für Frauen, die Weberei, die Gesundheitscamps und verschiedene Ausbildungsinitiativen werden von der GLS Zukunftsstiftung befördert.
Initiatorinnen und Trägerinnen der Women's Foundation Nepal sind Renu Sharma und Kamala Upreti, die bereits als Soziologiestudentinnen 1988 die Stiftung gründeten. Gemeinsam unterstützen sie Frauen zum Ersten darin, sich ihrer Rechte bewusst zu werden, sie wahr zu nehmen und auf nationaler Ebene einzufordern. Zum Zweiten unterstützten sie Frauen, wirtschaftlich selbständig zu werden.
Rechtsbeistand ist notwendig
Nach drei Jahren konnte die Women's Foundation Nepal per Gerichtsbeschluss einen DNA-Test durchsetzen und so die Vaterschaft beweisen. Dieses Gerichtsurteil ebnete den Weg. Charu bekam ihre Geburtsurkunde und auf dieser Grundlage erfolgte die Anerkennung ihrer Staatsbürgerschaft. Voller Stolz nahm sie ihren Personalausweis entgegen. Auch ihre Mutter profitierte von Charus Kampf. Auch sie erlangte auf diesem Weg ihre Staatsbürgerschaft. Für Charu ging mit diesem Schritt noch ein weiterer Erfolg einher: Endlich konnte sie ihr lange angestrebtes Studium aufnehmen.
Mit Unterstützung der Mitarbeitenden des Rechtsberatungsprogramms der Women's Foundation kämpfen jährlich etwa sechs Frauen um ihr Recht auf Anerkennung ihrer Staatsbürgerschaft und ihre Papiere. Die Women's Foundation begleitet sie auch bei den Auseinandersetzungen in ihrem Heimatort. Für Frauen, die die Kosten zur Beschaffung der Urkunden wie Gebühren und Reisekosten nicht tragen können, sucht die Women's Foundation Unterstützung.
Für Beratung, Fahrten in die Geburtsorte und für die Ausstellung der Papiere fallen für jede Frau im Schnitt 460 Euro an. In jedem Jahr werden rund 2.760 Euro gebraucht.