04.03.2024

Die Geschichte einer Befreiung

Celebrating Life – das Leben zelebrieren, achten, genießen. Das ist das Motto von Menschen mit Behinderungen und Eltern von Kindern mit Behinderungen, die im südindischen Andrah Pradesh erfolgreich eine einzigartige Kooperative aufbauen.

Srinivasa Reddy erzählt: "Ein normales Kind wird zur Schule geschickt und ins Krankenhaus zu Kontrolluntersuchungen. Es erhält eine gute Bildung. Aber bei einem Kind mit Behinderung denkt jeder: Wozu sollten wir es brauchen? Ich habe diese Entwürdigungen selbst erlebt. Als meine Schwester heiratete, sagte mein Vater: Du gehst nicht zur Hochzeit, was sollen die Leute denken, wenn sie dich dort sehen? Du solltest zu Hause bleiben. Wer kann diesen Schmerz ertragen?"

Mehr zu Timbaktu Collective

Mary Vattamattam und Choitresh Kumar (Bablu) Ganguly setzen sich seit 1978 für Adivasi ein. 1990 gründeten sie Timbaktu Collective, eine genossenschaftliche Selbstorganisation von Adivasi, Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Landlosen im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh.

Ihr Ziel ist, Menschen in ländlichen Gemeinden zu befähigen, ihr eigenes Leben selbstbestimmt zu gestalten und in sozialer, geschlechtsspezifischer und ökologischer Harmonie ein nachhaltiges Leben in Würde führen zu können.

Timbaktu Collective arbeitet als gemeinnützige Basisorganisation mit Bewohner*innen aus 347 Dörfern in acht Distrikten des indischen Bundesstaates Andhra Pradesh zusammen. Andhra Pradesh gilt als einer der ärmsten Bundesstaaten Indiens. Die Arbeitsbereiche umfassen: Umweltschutz und (Wald-)Regeneration, biodynamische/permakulturelle Landwirtschaft, partizipative Selbstverwaltung und Stärkung von Genossenschaften, Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte, Durchsetzung der Rechte von Frauen.

Timbaktu Collective stand Pate beim Aufbau von fünf Genossenschaften, in denen sich 40.355 Kleinbauernfamilien und Landlose organisieren. Timbaktu Collective hat 153 Mitarbeitende. Die Zusammenarbeit mit der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung begann 2018 und konzentriert sich auf die Stärkung des Programms für Menschen mit Behinderungen.

Srinivasa Reddy hatte als Kind Polio. Seine beiden Beine sind verkümmert, er kann nur krabbeln. Menschen mit Behinderungen werden in Indien nicht wahrgenommen, ihre Rechte nicht anerkannt. Sie werden aus allen Bereichen des sozialen Lebens ausgeschlossen, besonders, wenn sie arm oder aus einer niedrigen Kaste bzw. kastenlos sind. Zumeist fehlt ihnen auch der Bildungshintergrund, um ihre Rechte einzuklagen.

Srinivasa Reddy fährt fort: "Wenn du einen Job hast, dann hast du Geld und erhältst Anerkennung in der Gesellschaft. Mein Traum war, einen Job zu bekommen und Akzeptanz zu finden."

2001 startete unser Projektpartner Timbaktu Collective deshalb das Programm Militha (Inklusion), ein Programm, in dem sich Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in Selbstvertretung organisieren. Sie arbeiten in drei Bereichen: der Schulung zur Wahrnehmung eigener Rechte; die Ermöglichung des Zugangs zu Behandlungen und Therapien und als drittes, die Erwirtschaftung eigenen Einkommens. Um die Selbsthilfe auch ökonomisch effektiv umzusetzen, gründeten sie die Kooperative von Menschen mit Behinderungen Pratibha. Die Kooperative erreichte 2013 die offizielle Registrierung. Heute (2024) hat Pratibha 1.587 Mitglieder aus 130 Dörfern und ein Bilanzvolumen von umgerechnet 935.000 Euro.

Das fertige barrierefreie Gebäude während der Einweihungszeremonie am 29. Oktober 2020
S. Reddy (Mitte) bei der Einweihung des neuen Gebäudes in Roddam Mandal.

Srinivasa Reddy erzählt: "Bevor ich mich bei Militha engagiert habe, bin ich niemals irgendwo hingegangen. Ich war nur zu Hause. Nachdem ich Mitglied bei Militha geworden bin, habe ich eine Gruppe gebildet. Ich lernte. Nach und nach füllte ich leitende Funktionen aus. Dann wurde ich Direktor der Kooperative Pratibha und anschließend der Präsident. Heute kann ich überall hingehen. Ich habe diese Energie." Und weiter: "Jedes Mitglied zahlt einen kleinen Beitrag an die eigene Kooperative. Jedes Mitglied hat das Recht, einen Kredit aufzunehmen – und zwar in der fünffachen Höhe der eigenen Einzahlungen."

"Wir schaffen Arbeitsplätze zum Beispiel in der Seifenproduktion. Wir bauen Toiletten, die auch von Menschen mit Behinderung genutzt werden können. Jeden Monat treffen sich die Eltern von Kindern mit Behinderung und gemeinsam treffen wir Entscheidungen. Wir helfen den Menschen, wenn sie ihre monatlichen Unterstützungszahlungen oder Schwerbehindertenausweise nicht bekommen oder juristischen Rat benötigen. Menschen, die fragen, was sie mit ihrem Leben anfangen können, sage ich, kommt und werdet Mitglied. Wenn wir zusammenkommen, können wir alles erreichen. Ich bin heute nicht mehr abhängig und erhalte viel Anerkennung. Ich habe heute einen neuen Blick auf das Leben."

Die Menschen der Kooperative Pratibha haben inzwischen drei Zweigstellen in drei Distrikten. Dazu erstritten sie von der Regierung des Bundesstaates Andrah Pradesh jeweils kleine Stücke Land von rund 500 Quadratmetern und trugen selbst rund 11.000 Euro zu den Baukosten bei. Sie würden gerne weitere Zweigstellen in weiteren Distrikten aufbauen. Orte, wo sie ihre Weiterbildungen durchführen, wo Ratsuchende diesen auch bekommen, wo sie sich treffen können, um sich auszutauschen. Orte, an denen kleine ökonomische Initiativen entstehen, wie zum Beispiel die Seifenproduktion. Ein einfaches Gebäude, das behindertengerecht ausgestattet ist, kostet rund 45.000 Euro und käme jeweils rund 500 Menschen zugute.

Die Kooperative bringt jeweils einen Eigenanteil von rund 10.000 Euro bei. Für die restlichen 35.000 Euro benötigen wir Spenden in Höhe von 70 Euro pro Begünstigtem.

Spendenzweck

Indien: Militha heißt Inklusion F145