Indien: Gemeinsam statt einsam im Seniorenheim
10.06.2025
WARM bietet familienlosen Senior*innen im südindischen Thiruvannamalai ein Zuhause: mit zwei Heimen, in denen sie nicht nur versorgt sind, sondern auch im Kinderheim und auf der organischen Farm mitarbeiten können.
Kuppammal Muniyan fasst den Strick kürzer. „Ich genieße die Arbeit mit den Kühen und Kälbern“, sagt die 68-Jährige und streicht über das hellbraune Fell der Kuh, die sie gerade aus dem Stall führt. Kuppammal Muniyan ist eine von 66 Senior*innen, die in zwei Heimen unserer Partnerorganisation Welfare Association for the Rural Mass (WARM) leben.
Der kleine Milchviehbetrieb, in dem Kuppammal Muniyan mitarbeitet, ist neben den zwei Heimgebäuden für Senioren, den Lernzentren für Straßenkinder und arbeitende Kinder, einem Kinderheim und einer organischen Farm eines der Projekte von WARM. In allen Projekten können die Seniorinnen und Senioren des Heims mithelfen. WARMs Ziel ist es, die Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung in der Region zu verbessern.
Unter den Älteren geht es vielen wie Kuppammal Muniyan: Nach dem Tod ihres Ehemanns lebte sie allein im Dorf Paichal. Sie hatte weder ein Einkommen noch die Unterstützung ihrer Kinder, die mehrere Autostunden entfernt in Chennai wohnen. In den Dörfern arbeiten die meisten Menschen als Tagelöhner oder bauen in Kleinstparzellen Reis an. Doch jahrzehntelanger Anbau in Monokulturen hat die Böden ausgelaugt, viele Felder liegen brach. Gerade die Jüngeren, wie Kuppammal Muniyans Tochter und Söhne, ziehen auf der Suche nach Arbeit in die Slumgebiete der boomenden Städte wie Chennai an der Ostküste Indiens. Zurück bleiben – unversorgt – die alten Menschen.
Zusammen arbeiten und füreinander da sein
Kuppammal Muniyan steht mit weiteren Bewohnerinnen und Bewohnern des Heims unter sonnendurchfluteten Breiapfelbäumen, deren Früchte sie für den Verkauf ernten. Es sind solche Momente, die Kuppamal Muniyan viel bedeuten. „In Frieden und gegenseitiger Unterstützung hier zusammen mit den anderen zu leben und zu helfen, Essen zu haben und medizinische Versorgung: all das hat meinem Leben Zuversicht und Hoffnung zurückgegeben.“ Sie fühlt sich durch WARM reich beschenkt.
„Mir wurde mit 68 ein neues Leben gegeben. Ich genieße es, wie wir uns hier gegenseitig unterstützen, uns aber auch um die Kinder des Heims kümmern – und sie sich um uns.“ Ihre Krankheiten und Blutdruckprobleme seien bei so viel Miteinander und der medizinischen Versorgung im Heim viel besser geworden. So kann sie sich ihrem liebgewonnenen Hobby widmen: „Ich sehe mir gerne Serien im Fernsehen an. Am nächsten Tag diskutieren wir dann alle zusammen über die Geschichten, die wir gesehen haben.“
Für den Betrieb des Seniorenheims werden rund 37.000 Euro pro Jahr benötigt. Pro Senior*in sind dies jährlich 544 Euro.
Die Welfare Association for the Rural Mass (WARM) wurde mit dem Ziel gegründet, Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung in den Dörfern rund um Tiruvannamalai zu verbessern. Heute unterhält WARM in Tamil Nadu 13 informelle Lernzentren für arbeitende Kinder und Straßenkinder und bietet drei Ausbildungsgänge für Schulabbrecher*innen an. Zusätzlich unterhält WARM ein Heim für Senior*innen und ein Kinderheim sowie eine organische Farm und einen kleinen Milchviehbetrieb. Seit 2001 fördert WARM zudem im Rahmen eines Mikrokreditprogramms Frauen aus ländlichen Regionen in ihrer Selbstständigkeit.
Die gemeinnützige Organisation Welfare Association for the Rural Mass (WARM) wurde 1983 gegründet. Der Gründer und erste Leiter der Organisation verstarb früh. Der heutige Geschäftsführer, K. Rajavelu, begann Ende der 90er Jahre für WARM zu arbeiten. Selbst als Kastenloser geboren, absolvierte er die Volksschule und lernte im Rahmen vieler Fortbildungen weiter. Als Kind war er selbst noch mit der rechtlosen Situation von Kastenlosen konfrontiert. So musste er mit seinem Vater zu seinem "Besitzer" gehen, um die Erlaubnis zu erhalten, die Schule zu besuchen. Im November 2023 wurde Herr Rajavelu von der Regierung Tamil Nadus als einziger NGO-Vertreter Tamil Nadus in die Regierungskommission für die Rechte Kastenloser und Indigener Gemeinschaften berufen. Dies ist eine große Auszeichnung für seine Arbeit und die Arbeit von WARM.
Der Distrikt Tiruvannamalai ist von Wäldern und Hügeln sowie der boomenden Tempelstadt Tiruvannamalai geprägt. Auf dem Land ist die Alphabetisierungsquote niedrig. Viele der Einwohner*innen sind Kastenlose oder gehören niedrigen Kasten an und sind ökonomisch marginalisiert und vielfach landlos. Häufig nehmen diese Menschen Darlehen zu horrenden Zinsen auf, belasten ihren ohnehin geringen Vermögenswert und verschulden sich fortschreitend. WARM bietet Fortbildungen im Hinblick auf Finanzwissen und Buchhaltung. Schulungen zielen darauf, berufliche Fähigkeiten zu stärken und Selbstständigkeit zu fördern. Das Mikrokreditprogramm hilft Frauen, Einkommen schaffende Tätigkeiten aufzunehmen und sich als Kleinstunternehmerinnen selbstständig zu machen.
