Langfassung: Gesundheit durch Siddha-Medizin

20.08.2024 

MUHIL gewährleistet im südindischen Tamil Nadu die Gesundheitsversorgung für mittellose Menschen, besonders für Dalits (sogenannte Unberührbare) und Angehörige niedriger Kasten. Grundlage ist die mehr als zweitausend Jahre alte Tradition der Siddha-Medizin. Ziel ist, diese Gesundheitsversorgung auszuweiten und langfristig insgesamt rund 68.500 Bewohner*innen aus 93 Dörfern Zugang zu Versorgung zu ermöglichen.

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Dr. Fatima Rani studierte als Ordensschwester Siddha-Medizin. Aufgrund der von ihr gewählten "Option für die Armen" schied sie aus ihrem Konvent aus. Gemeinsam mit Dr. Vincent Clement Joseph und Father Michael gründete sie "The Downtrodden and Poor People Charitable Medical, Educational & Welfare Trust", eine gemeinnützige Stiftung, die Gesundheitsleistungen für arme ländliche Bevölkerungsgruppen, vor allem Kastenlose, anbietet.

Über mobile Dorfkliniken, Gesundheitscamps und die Behandlung im zentralen Gesundheitszentrum bietet MUHIL Bedürftigen (Kastenlosen, Angehörigen niedriger Kasten und sogenannten Tribals) medizinische Basisversorgung auf traditioneller Siddha-medizinischer Grundlage. 35 Mitarbeitende und weitere Gesundheitspromotor*innen versorgen 93 Dörfer im Distrikt Madurai in Tamil Nadu. MUHIL bildet Kleinbäuer*innen im biodynamischen Anbau aus. Ferner verfügt MUHIL über eine Destille zur Produktion ätherischer Öle. Seit 2002 kooperiert die Zukunftsstiftung Entwicklung mit MUHIL in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitshelferinnen, der Rekultivierung von verödetem Land, der Ausweitung des biodynamischen Anbaus, der Produktion ätherischer Öle und nun der Arzneimittelproduktion.

30 Kilometer von der regionalen Hauptstadt Madurai entfernt, eingebettet in überwiegend kleinbäuerlich genutztes Flachland mit einzelnen Hügeln, grenzt ein Dorf an das andere. In diesem Gebiet ist das formalrechtlich längst abgeschaffte Kastensystem weiterhin allgegenwärtig und verwehrt den Menschen die Möglichkeiten auf ein selbstbestimmtes Leben. Hinzu kommt die langjährige Ausbeutung des Landes durch Monokulturen, zusammen mit der Verschärfung von Wetterextremen infolge des Klimawandels, wodurch die Böden mit Schadstoffen belastet und ihre Nährstoffe aufgezehrt sind. Der Bodenerosion sind Tür und Tor geöffnet. Eine Kleinbäuerin bzw. ein Kleinbauer kann hier im Jahr höchstens ca. 380 Euro pro 4.000 m2 erwirtschaften – allerdings nur bei fruchtbarem, bewässertem Boden. Haben die Bauern nur Ödland, so sind sie gezwungen, als Tagelöhner in Programmen der Regierung oder auf dem Bau in Madurai zu arbeiten. Das geringe Bildungsniveau führt in vielen Fällen zu einem Mangel an Umweltbewusstsein und zu einem fehlenden Bewusstsein für Hygiene, Ernährung und Gesundheit.

All diese Faktoren sind ein guter Nährboden für Krankheiten. Besonders häufig sind alle Varianten von Hepatitis, Asthma, Rheuma, Psoriasis, Nephritis, Dermatitis und Krebs. Periodisch brechen epidemische Erkrankungen aus wie Monsunfieber, Bronchial- und Lungenentzündungen, Chikungunya und andere Fiebererkrankungen. Auch Covid-19 breitete sich unter solchen Bedingungen rasant aus.

Mit Basisgesundheitsversorgung den Teufelskreis durchbrechen

Dr. Fatima Rani leistete anfangs mit ihrer Organisation MUHIL in rund 40 Dörfern dieses Gebiets Gesundheitsversorgung auf der Grundlage der Siddha-Medizin. Die hat in Tamil Nadu eine mehr als zweitausend Jahre alte Tradition. Siddha-Medizin arbeitet mit einer breiten Diagnostik und nutzt lokale Kräuter und Pflanzen. Übergänge zu anderen Medizinrichtungen sind fließend. Es ist eine ganzheitliche Behandlung der Menschen, die von dem Prinzip der Selbstverantwortung ausgeht. Die Patient*innen werden unterstützt, die Ursachen ihrer Erkrankung aufzuspüren und zu verstehen, sodass die Behandlung an den Wurzeln ansetzen kann und die Patient*innen die Fürsorge für sich vermehrt in die eigene Hand nehmen. MUHIL schult Gesundheitshelferinnen, die wiederum die Patient*innen schulen und begleiten. Das schließt Schulungen in Yoga, Meditation, ausgewogener Ernährung, Hygiene und den Umgang mit Wasser ein.

Fünf Frauen und vier Kinder stehen beisammen und lächeln in die Kamera. Einige halten Papiertüten mit Pflanzen in der Hand.
Dr. Rani (2. v. r., hinten) mit Gesundheitshelferinnen und Kindern.

Die medizinische Behandlung erfolgt für mittellose Menschen kostenfrei. Für die Medikamente entrichten die Patient*innen einen sogenannten Anerkennungsbeitrag. Bei schwereren Erkrankungen können Patient*innen die zentrale Gesundheitsstation von MUHIL aufsuchen, die über 25 Betten verfügt. Problematische Geburten oder komplizierte Fälle, die Operationen erfordern, überweist MUHIL an ein Krankenhaus.

Ausweitung der Gesundheitsarbeit und Medikamentenherstellung

Der Erfolg von Dr. Ranis Gesundheitsarbeit führte dazu, dass sie 2018 von lokalen Behörden gebeten wurde, die medizinischen Dienstleistungen auch in weiteren 53 Dörfern mit rund 45.500 Einwohner*innen anzubieten. MUHIL hat diese Herausforderung angenommen, muss aber dafür seine Produktion an Medikamenten deutlich ausweiten, um die gestiegene Zahl an Patient*innen versorgen zu können.

Derzeit produziert MUHIL rund 200 Medikamente aus 129 Kräutern und Pflanzen. Die Kräuter werden in kleinbäuerlicher, organischer oder biodynamischer Landwirtschaft angebaut oder als Wildkräuter gesammelt. Der Bedarf an Medikamenten für die Patient*innen der 93 Dörfer lässt sich damit bei weitem nicht decken. In einem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten Projekt geht MUHIL seit 2018 die Ausweitung der eigenen Herstellung von Medikamenten an. Hierfür soll eine eigene Produktionsstätte aufgebaut werden, in der die Herstellung der Medikamente mit Maschinen wie einem Pulverisierer, einem Granulator, einer Tablettenpresse sowie einer Verpackungseinheit stärker mechanisiert wird. Zusätzlich bildet MUHIL weitere 50 Frauen als Gesundheitshelferinnen und in der Arzneimittelherstellung aus. Auch der Anbau von Kräutern und Pflanzen auf organisch und biodynamisch zertifizierten Feldern soll ausgeweitet werden.

Vor allem landlose Frauen, die bisher als Tagelöhnerinnen arbeiten, sollen als Wildpflückerinnen beschäftigt werden. Sie benötigen Schulungen zur nachhaltigen Wildkräutersammlung.

Allen Hindernissen zum Trotz

Doch die Umsetzung des Projektes erwies sich im geplanten Zeitraum von zwei Jahren als unmöglich. Nach einer verheerenden Überschwemmung im Jahr 2019, folgten die Jahre der Corona-Pandemie, die in Indien besonders heftig wütete und mit monatelangen Lockdowns einherging. Immer wieder kamen die Projektaktivitäten zum Erliegen und der Weiterbau musste unterbrochen werden.

Doch damit nicht genug: 2021 verlangte die indische Regierung eine Re-Registrierung aller Nichtregierungsorganisationen, sperrte deren Devisenkonten und untersagte damit die Nutzung ausländischer Fördergelder. Der Prüfungsprozess dauerte bei MUHIL 14 Monate - eine lange Zeit, in der die Arbeit nicht fortgesetzt werden konnte, bis im Februar 2023 endlich die Freigabe erfolgte. Seitdem treibt MUHIL den Weiterbau mit voller Kraft voran, sodass schließlich der Rohbau der Produktionsstätte im Februar 2024 eingeweiht werden konnte und voraussichtlich Ende April 2024 die Bauarbeiten, die Installation der Maschinen sowie die Ausbildung der Produktionsmitarbeitenden abgeschlossen werden können. Die Aufgabe und der Zusammenhalt im Team trugen MUHIL durch die Krise, auch dann, als die Frustration wuchs. Gleichzeitig haben Dr. Rani und MUHILs Mitbegründer Father Clement in den zurückliegenden Jahren mit Bedacht die nächste Generation an ihre Aufgaben und die Verantwortung in der Organisation herangeführt. Ein Team von drei jungen Frauen leitet die medizinische Versorgung, von der traditionellen Herstellung der Medikamente bis zu den Gesundheitscamps und dem Einsatz der mobilen Gesundheitseinheit, die in einem Bus zur Behandlung auf die Dörfer fährt. Ein zweites Team ist für die Arbeit auf den Farmen verantwortlich, auf denen Heilpflanzen und andere Rohstoffe für die Herstellung der Medikamente gewonnen werden.

Die neue Produktionsstätte für Siddha-Arzneien soll langfristig rund 70.000 Menschen versorgen. 40 Prozent der hergestellten Medikamente sollen in den Verkauf gehen, um so die Produktionskosten und den Unterhalt der Anlagen wie auch die Personalkosten zu decken. 60 Prozent der Produktion sind für die medizinische Versorgung der Dorfbewohner*innen vorgesehen. Doch bis dies problemlos laufen kann, muss MUHIL auch weiterhin viele Hürden nehmen, denn der Schaden der letzten Jahre ist groß und die anstehenden Aufgaben sind es auch: Gebäude, Farmland und bisherige Produktionsstätten konnten jahrelang nicht ausreichend wirtschaftlich genutzt werden. Neben der Weiterführung des Gesundheitsprogramms plant MUHIL nun als Erstes die Instandsetzung der Destille für medizinische Öle. Dafür muss der Tank gereinigt und die Elektrizität überprüft werden. Auf den Farmen gilt es, Zäune und Maschinen zu reparieren und auch der Bestand an derzeit 22 Kühen soll verdoppelt werden.

Mitarbeitende von MUHIL bei der Medikamentenherstellung.

Schafft MUHIL den Schritt nach all den Jahren mit der neuen Manufaktur seine Produktion von siddha-medizinischen Medikamenten erfolgreich zu betreiben, dann kann die Organisation langfristig auch wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen.

38.000 Euro sichern die medizinische Basisversorgung in 93 Dörfern für ein Jahr. Das macht pro Patient*in acht Euro. Für die vollständige Wiederaufnahme der Öldestillerie und der Farmaktivitäten rechnet MUHIL mit weiteren 20.000 Euro.

Das BMZ fördert den Abschluss des Baus der Produktionsanlage zu 75 Prozent. Für die restlichen 25 Prozent werden rund 25.278 Euro Spendengelder benötigt. Ihre Spende zählt dank des Zuschusses des Bundesministeriums vierfach.

 

Spendenzweck

Indien: Gesundheitsversorgung für Kastenlose F178