Was nun? - Initiativen und Ansätze für Mut, Hoffnung und Veränderung

1799 brach der deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt zu einer fünfjährigen Reise durch Südamerika auf. Sie brachte ihm grundlegende natur- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich des Einwirkens des Menschen auf die Natur und die daraus resultierenden Folgen für Klima und Umwelt. Manchen gilt er daher als erster Ökologe und Klimatologe.

Unter anderem stellte er fest: Der Anbau von cash crops – bei ihm das Beispiel Kaffee und Zucker – und die damit einhergehende Abholzung führten zu grundlegender Naturzerstörung. Unwiederbringlich. Die lokale – indigene Bevölkerung – werde ausgebeutet. Werde die Naturzerstörung in dieser Weise fortgeführt, zerstörten die Menschen ihre eigenen Lebensräume. Die Welt sei ein lebendiger Organismus, ein Netzwerk komplexer, sich bedingender Lebenszusammenhänge. Die Menschheit darin nur ein abhängiges, kleines Teilelement.

Die Grenzen des Wachstums sind überschritten
Heute, 200 Jahre, einige soziale und wirtschaftliche Revolutionen und Reformen sowie technologische Sprünge später, wissen wir, dass Humboldts Beobachtungen und Untersuchungen erschreckend zutreffen. Die planetaren Grenzen des Wachstums sind überschritten. Wir sprechen vom anthropomor-phen Zeitalter. Als Menschen haben wir den Planeten so gezeichnet, dass es keinen unangetasteten Naturraum mehr gibt. Über alle Zusammenhänge im lebendigen Organismus Welt wissen wir allerdings noch reichlich wenig. Eines ist jedoch einfach und klar: Wir zerstören die Welt in unglaublicher Schnelle und unser westlicher Lebensstil ist dafür ganz klar ursächlich. Der „neue Mensch“ ist nicht entstanden Die heute Fünfzigjährigen und älteren haben das Scheitern sozial- und wirtschaftspolitisch intendierter Revolutionen miterlebt.

Der „neue Mensch“ ist nicht entstanden
In den 90ern wurde nach der Auflö-sung der Sowjetunion vom „Ende der Geschichte“ schwadroniert; bis in die 2000er der „Sieg von Kapitalismus und neoliberaler Globalisierung“ gefeiert. So zumindest bis zur ersten Finanzkrise 2008.

Die Krise der Demokratie
Derzeit haben wir die erste globale Pandemie noch nicht verdaut. Wir erleben die nie dagewesene Konzentration von Reichtum in den Händen einiger Weniger bei zunehmender Verarmung weiter Bevölkerungsgruppen auch in den westlichen Industrieländern. Krieg und Aufrüstung sind wieder oppor-tune Mittel internationaler Politik. Wir sind mit der Krise der Demokratien konfrontiert und ertragen einen Typus polarisierender, demagogischer und menschenverachtender na(r)zistischer Politiker in so vielen Staaten dieser Welt, die gewaltbereite Gruppen zur Durchsetzung ihrer Ziele agitieren.

Wir könnten verzweifeln - aber noch sind wir nicht bereit, aufzugeben
Veränderung entsteht aus Erkenntnis und Handeln. Sie erwächst selten aus der Mitte der Gesellschaft. Zumeist sind kleine Initiativen die Wegbereiter, die sich auf den Weg machen, ausprobieren, umsetzen. In diesem Sinne machen wir uns auf die Suche nach theoretischen wie praktischen Bausteinen einer besseren Welt. Die Elemente:

I. Entwicklungsland Deutschland: Entwicklung, Daseinsvorsorge und radikale Kreislaufwirtschaft

Seit der Aufklärung („raus aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“), wurde und wird der Entwick-lungsbegriff durchweg sehr einseitig gebraucht und verstanden. Es ist die Idee des linearen, planbaren Wachstums. Fortschritt (wissenschaftlich, technisch, medizinisch) Wachs¬tum, Gewinn, Leistung (wirt-schaftlich, gesellschaftlich) werden als notwendige Bedingung für Entwick¬lung betrachtet. Dies sind eurozentrische, westliche Vorstellungen von Wachstum und Entwicklung, die nur eine – line¬are – Richtung bestimmen, bei der wir gar nicht anders können (oder zu wollen haben) als uns im materiellen Sinne immer wieder selbst zu übertreffen.

Entwicklungsland Deutschland
Wenn aktuell über Entwicklung diskutiert wird (Beispiel: green new deal) werden die Begriffe Fortschritt (Machbarkeit), Wachstum (maximale Ausnutzung aller Ressourcen) und Gewinn automatisch mitgedacht. Dies gilt ebenfalls für den Begriff der Freiheit, der zwar oft zentral steht, letztendlich aber vor allem als unternehmerische Freiheit verstanden wird, inklusive der Freiheit, sich selbst, die Welt und alle anderen Menschen auszubeuten und zu zerstören, und dabei die Kosten wie üblich zu sozialisieren und zu externalisieren.Wirkungsorientierte, sinnstiftende Entwicklung, die die eigenen (Kultur-)Erfahrungen, Erkenntnisse und Logiken nicht über die anderer Gruppen stellt, setzt ein Lernen auf Augenhöhe voraus, ein Miteinander. Es bedeutet auch, die Grenzen des Wachstums konsequent einzubeziehen. Als GLS Zukunftsstiftung Entwicklung versuchen wir dementsprechend, Entwicklung als zirkuläre Prozesse zu denken, die auf dem Denken und Handeln in Kreisläufen und Kreislaufwirtschaft aufbauen. Wir verstehen Entwicklung als zukunftsweisenden und zukunftsfähigen Aufbau/Ausbau, regionaler, nationaler und internationaler (Basis)Initiativen, die für alle offenstehen und in denen solidarisch und kollektiv Verantwortung übernommen wird, für Menschen, Umwelt, Klima und Ressourcen, indem deren Aktive aus einem Gemeinsinn heraus das Wirtschaften mit Daseinsvorsorge verbinden. So betrachtet, können wir genauso viel von unseren Partnern im Globalen Süden lernen, wie andersherum. Was sind die Bausteine alternativen Entwicklungsdenkens?

Gut zu wissen

Entwicklungswege - ob persönlich oder als gemeinschaftliche Prozesse – verlaufen selten linear, schon gar nicht in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Wege sind auf den ersten Blick oft chaotisch und verwirrend. Immer wieder kommen wir an Knotenpunkte, die neu verhandelt und hinterfragt werden müssen. Erst wenn das geschieht, können wir dem roten Faden weiter durch das vermeintliche Wirrwarr folgen.

Das Werkstattgespräch will genau solch ein Knotenpunkt sein. Hier wollen wir zum Nachdenken anregen und mit Ihnen in einen Austausch kommen über aktuelle Themen und Herausforderungen, die uns im Rahmen unserer Arbeit immer wieder begegnen – uns auf die Probe stellen, aber auch inspirieren.

Das IV. Werkstattgespräch findet am 09. und 10. Dezember 2022 im Haus der GLS statt, Christstr. 9, 44789 Bochum.

Eine Anreise- und Wegbeschreibung finden Sie auf unserer Internetseite unter Kontakt.

Die Veranstaltung ist eine reine Präsenzveranstaltung.

Die Teilnahme am Werkstattgespräch ist kostenfrei. Wir freuen uns über Ihre Teilnahme! Für die Planung ist eine Anmeldung unbedingt erforderlich. Bitte melden Sie sich bis spätestens zum 04.12.2022 an.

  • Per E-Mail an: entwicklung@gls-treuhand.de
  • Telefonisch unter: +49 (0)234 5797 5774

Einladung und Programm zum IV. Werkstattgespräch können Sie hier herunterladen: Download.

Was können wir von unseren Partnern lernen? Gelebte Solidarität.

Ein Lernmoment aus der letzten Projektreise nach Kenia drängt sich Mitarbeiterinnen der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung auf. Nach einem vollen Projekttag mit vielen Besuchen, wurden wir abends um sieben Uhr von unserer Partnerorganisation SACDEP an die kenianisch-tansanische Grenze zur Einweihung eines Bohrloches eingeladen. Ein Lagerfeuer brannte zur Abschreckung von Elefanten, eine Photovoltaik-Anlage sorgte für Licht und pumpte das Wasser. Eine Ziege wurde geröstet. Fast nebenbei berichteten die Vertreter*innen der Massai, dass Tausende tansanische Massai aus dem Ngorongoro Crater, vertrieben von der dortigen Regierung, zu diesem Bohrloch gekommen waren. Sie wurden von den kenianischen Massai mit offenen Armen aufgenommen. Dies, obwohl eine harte Dürre im Süden Kenias herrscht. Nun leben also tausend Menschen mehr von diesem Bohrloch.

Die Bereitschaft der Menschen, selbst in der Not das zu teilen, was zur Verfügung steht, darf uns inspirieren. Ein Moment gelebter Solidarität. Eine These: Wenn wir es schaffen, uns von unseren Partnern inspirieren zu lassen, kommen wir möglicherweise zu einer ganz neuen Definition von Entwicklung und Wohlstand, die es uns erlaubt, in Krisen zu improvisieren und flexibel und kreativ, vor allem aber in wohlstrukturierten, demokratischen Prozessen auf Probleme zu reagieren.

Welche Ressourcen müssen zu Gemeingütern erklärt werden, um Daseinsvorsorge betreiben zu können?

II. Naturbegriff - Gemeingut versus Eigentum

Als Natur wurde in der Geschichte immer all das deklariert, auf das aus einer hegemonialen Ordnung ohne Rücksicht auf Verluste zugegriffen werden konnte – seien es Rohstoffe, seien es „fremde Völker“, Frauen, Sklaven, Tiere. Diese Markierung als „zur Ausbeutung, zur Ausnutzung frei“ bestimmt seit Jahrhunderten unseren Umgang mit „Natur“. Unsere Bedingtheit durch andere, durch die Umgebung, durch die Menschen, die uns umgeben, durch die Summe aller Einwirkungen, unser zutiefstes Abhängigsein ist wenig akzeptiert, noch in allen Auswirkungen durchdacht.

Um zu einem anderen Naturbegriff und damit auch zu einem anderen Umgang mit Natur zu kommen, ist der Begriff Gemeingut und die Prozesse des Aushandelns des Schutzes von Gemeingütern hilfreich, das heißt, die spezifischen Formen sozialer Übereinkünfte zur kollektiven, nachhaltigen und fairen Nutzung von Gemeinressourcen. Der Begriff des Gemeinguts bezeichnet dabei nicht eine Ressource an sich - zunächst Wasser, Land, Wälder und dergleichen, zunehmend auch Software, Sprache und Kulturtechniken -, sondern vielmehr deren Verbund mit spezifischen Formen sozialer Übereinkünfte in der kollektiven Nutzung derselben. Das heißt, Gemeingüter entstehen überhaupt erst dann, wenn Nutzergemeinschaften Zugangs- und Nutzungsregeln aushandeln, die allen dienen. Scheitern die dazu nötigen Aushandlungsprozesse (aus welchen Gründen auch immer), werden Gemeinressourcen oft entweder privatisiert oder verstaatlicht, vereinnahmt oder vernutzt.

Man kann die traditionellen Gemeingüter also am besten als Referenz auf eine gemeinschaftlich getragene Ressourcenmanagement-Strategie verstehen, die immer unter Berücksichtigung kultureller, ökologischer, ökonomischer wie institutioneller Bedingungen erarbeitet werden muss. Dies setzt eine intensive und möglichst direkte Kommunikation der Nutzerinnen und Nutzer miteinander voraus und macht die Gemeingüter so komplex wie das Leben selbst. Der Umgang mit einem Gemeingut nimmt je nach Zusammenspiel der Grundbausteine unterschiedliche Formen an. Doch gemeinsam ist ihnen, dass die Regeln von der jeweiligen Nutzergemeinschaft weitgehend selbst bestimmt werden sollten. Das gelingt nur, wenn eine Gruppe von Menschen ein gemeinsames Verständnis vom Umgang mit einer Ressource entwickelt. Um die weltweiten Fragen unserer Daseinsvorsorge beantworten zu können, benötigen wir die Anerkennung von Gemeingütern und die Etablierung von Aushandlungsprozessen zu ihrem Schutz.

Was ist es uns wert und welche Chancen eröffnen sich, wenn auf Ressourcen nicht zugegriffen wird?

Welche Sicherheiten für Gemeingüter muss es geben?

III. Das Individuum und das Kollektiv: Ich und Du - neue Führungsformen

Die Demokratie ist in der Krise – und doch brauchen wir sie – in der Politik, im Sozialen, in der Entfaltung des Individuums. Wie pflegen wir sie im Alltag; welche interessanten neuen Ansätze gibt es im Umgang mit dem Spannungsfeld „ich versus wir“, „ich versus die anderen"?

IV. Der andere Umgang mit Geld

Geld ist das Kommunikationsmedium. Geld repräsentiert gerichtete Aufmerksamkeit. Prägend für Entwicklung ist die Beziehung zu Geld. Heute sind in unserer Welt fast alle gesellschaftlichen Räume funktionalisiert. Sie sind durchgestaltet als kommerzialisierte Konsum- oder dem Konsum verpflichtete Dienstleistungsräume.

Die Teilhabe am Großteil der gesellschaftlichen Beziehungen wird über Geld als inkludierendes oder exkludierendes Medium gesteuert. Hier wie in den Ländern des Südens. Daraus erwachsen Ohnmachtserfahrungen, das Gefühl mangelnder Teilhabe- und mangelnder Gestaltungschancen.

Deshalb geht es für uns alle (und für die GLS Zukunftsstiftung Entwicklung im Besonderen) darum, Teilhabechancen an monetären Kreisläufen zu eröffnen und dies ökonomisch (lokal), ökologisch und sozial tragfähig zu gestalten und dabei gleichzeitig nicht-monetäre gesellschaftliche Freiräume zu stärken, also Teilhabechancen mit Resilienz/Widerstandskraft gegen die Landnahmen der Ökonomisierung der Welt zu verbinden.

Die Ausgestaltung ist absolut vielfältig. Es gibt für die Organisierung nicht das eine Modell oder den einen Weg. Der Weg liegt immer in den Menschen, die konkret vor Ort tätig sind, die sich begegnen und gemeinsam auf diesen Weg machen – partizipativ und hierarchiearm. Gefordert sind wir alle. Als Vorbilder dienen können uns die Frauen in unseren südlichen Partnerländern, die sich bereits seit vielen Jahren mit enormem Einsatz und großem Durchhaltewillen dieser Aufgabe stellen.

Mit diesen Themen wollen wir uns während des Werkstattgesprächs am 09. und 10. Dezember 2022 im Haus der GLS in Bochum auseinandersetzen und in einen Austausch kommen.

 

 

 

 

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