Alle Veränderungen beginnen im Kopf

Die Massai-Gemeinden in Kajiado ringen um ihr Bestehen

Im Januar 2018 startete nach langer Vorarbeit das Projekt der Massai-Modellfarmen. Ziel ist, dass Massai-Gemeinden in Kajiado ihre natürlichen Ressourcen nachhaltig bewirtschaften. Nur so können sie ihr Überleben sichern und gleichzeitig dem Klimawandel trotzen. Rund 100.000 Hektar sollen als Naturschutzzone und Wildkorridore eingerichtet werden. Der Trend, Gemeindeland zu parzellieren und zu verkaufen, soll aufgehalten werden, um es für heutige und zukünftige Generationen von Menschen, Pflanzen und Tieren zu sichern.

Mehr über SACDEP

Ngugi Joseph Mutura gründete 1993 die Organisation Sustainable Agriculture Development Program (SACDEP), die er bis heute leitet. Seine Vision: Ein hungerfreies Afrika. Dank seiner Initiative sind heute rund 100.000 Familien ernährungssouverän und ernährungssicher. Ngugi Joseph Mutura prägte einen ganzheitlichen, ressourcenorientierten Ansatz von Entwicklungszusammenarbeit, der auf Selbstermächtigung und Gemeinschaftsbildung setzt.

Seit der Gründung von SACDEP 1993 schult die Organisation jährlich zwischen 3.000 und 5.000 Kleinbäuer*innen in organischem Landbau. Erfahrungsgemäß erreichen die kleinbäuerlichen Familien durch diese Schulungen nach drei bis vier Jahren Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität. Seit 2018 arbeitet SACDEP mit rund 11.500 Kleinbäuer*innen in vier klimatisch unterschiedlichen kenianischen Regionen, im Osten, in der Zentralregion, an der Küste und im Rift Valley. Seit der Gründung von SACDEP ist die Zukunftsstiftung Entwicklung der strategische Partner der Organisation.

Alle Veränderungen beginnen im Kopf, der Wert gemeinschaftlichen Landbesitzes muss erst einmal erkannt werden.

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre begann die kenianische Regierung mit einer neuartigen Landpolitik: Riesige Gebiete, die traditionell von nomadisch lebenden Massai-Gruppen für ihre Tiere genutzt waren, wurden zu Group ranches“ zusammengefasst. Den Gemeinden wurden diese Gebiete als Gemeinschaftsbesitz zugewiesen – und gleichzeitig andere angestammte Ländereien entzogen. Die Idee war, dass die Gemeinschaften Viehwirtschaft unternehmerisch“ betreiben sollten. In Kajiado wurden insgesamt 52 solcher „Group ranches“ gebildet.
Doch die Idee war ohne die Menschen erdacht: Die nomadisch lebenden Massai-Gemeinden hatten weder Motivation noch Vorbildung, um Viehwirtschaft „unternehmerisch zu entwickeln“. Die neu zugewiesenen Gebiete wurden überweidet, alte Landrechte wurden entzogen. Es kam zu politischen Auseinandersetzungen; Parzellierung und nachfolgender Landverkauf setzten sich durch. Dies führte zur Verelendung vieler Massai-Familien. Wenn dieser Trend sich fortsetzt, wird die Kultur der Massai zugrunde gehen und Lebensräume von Wildtieren werden zerstört.
Die Landesregierung von Kajiado hat in den letzten zehn Jahren wiederholt über Dekrete versucht, Landverkäufe von Group-ranch-Land zu stoppen – ohne nennenswerte Wirkung. Denn die Ursachen für die Landverkäufe wurden nicht in den Blick genommen: mangelnde Kenntnisse der nachhaltigen Bewirtschaftung, mangelndes technisches Wissen und fehlende Mittel für Investitionen.

Reisen bildet – von anderen lernen

An diesem Punkt setzte unsere erfahrene Partnerorganisation SACDEP im Projekt „Massai Modellfarmen“ an: Sie lud Vertreter*innen von fünf group ranches, die bislang nicht parzelliert sind, ein, Massai-Gemeinden im Norden Kenias zu besuchen, die erfolgreich gemeinschaftlich  wirtschaften. Die  Botschaft wurde deutlich: Wenn verlässliches Wissen, klare Organisation und gezielte Investitionen zusammenkommen, können „Group ranches“ erfolgreich werden. Dann sinkt der Druck, Land zu parzellieren und zu verkaufen.
Ein führender Vertreter der Rombo Group ranch, Leshan Lembusel, sagte nach einem solchen Besuch: „Ich habe nun erkannt, dass wir riesige Ressourcen haben. Unsere Herausforderung besteht darin, sie angemessen zu nutzen. Die Landesregierung versuchte, die Parzellierung von Land zu stoppen, hat aber keine Alternativen angeboten. Doch dank SACDEP und des Projekts ‚Massai Modellfarmen‘ erkennen wir, dass wir sehr gute Chancen haben, um unser Leben und das der zukünftigen Generationen zu verbessern.“ Edward Ngongoni, Repräsentant der Torosei Group ranch, äußerte sich ähnlich: „Der Druck zu parzellieren, war riesig. Aber jetzt sind wir gereist und unsere Augen sind geöffnet. Wir sprechen jetzt mit unseren Gemeindemitgliedern, dass wir unsere group ranch unbedingt erhalten müssen.“
Nach den Besuchen organisierte SACDEP Gemeindetreffen in den jeweiligen group ranches und diejenigen, die gereist waren, erzählten von ihren Erfahrungen. Die Menschen begannen sich zu organisieren. Musste 2019  zum Auftakt des Projektes SACDEP langwierig zu Treffen einladen, drehte sich die Dynamik um. Die Group-ranch-Vertreter*innen koordinierten die Treffen selbstständig und übten sanften Druck aus, um möglichst viele Schulungen innerhalb kurzer Zeit zu bekommen.

 

Gemeinsam legen Massai-Führer die Grenzen der Schutzgebiete fest
Schulungen zur Viehgesundheit und Rinderzucht sind zentrales Element für gesunde, widerstandsfähige Tiere.

Zu diesen Schulungen gehören zum Beispiel Aufbau, Pflege und Management von Grasbanken[1], damit Rinder und Wildtiere während der Trockenzeit Futter haben. Dazu gehörten Trainings zur Verwaltung von Wasserpfennigen[2], zu Erhalt und Pflege von Bohrlöchern, Schulungen zum Management von kleinräumigen Wasserstaubecken sowie die Ausbildung von Rangern, um Naturschutzzonen zu sichern und Tourist*innen führen zu können. 2019 wurde begonnen, Spar- und Leihzirkel aufzubauen. Gemeinsam sparen Mitglieder einer Gruppe und entscheiden, wer den Sparbetrag zu welchen Bedingungen in kleine Unternehmungen investieren kann. Dies ermöglicht auch gemeinsame Investitionen.
Inzwischen wuchs das Engagement bei allen Group ranches. Sie tragen Baumaterialien und Arbeitskraft zum Bau von Bohrlöchern und Staubecken oder Rindertauchbecken bei. 2019 konnten bereits alle Projektziele des Jahres erfolgreich umgesetzt werden. Hoffnung und Stolz auf das Erreichte wachsen.
Die große Mehrheit in den Group ranches ist sich nun der eigenen Ressourcen bewusst. Wissen und Fähigkeiten in organischem Landbau, Wassermanagement, Viehgesundheit, Rinderzucht und Vermarktung sollen in den kommenden drei Jahren kontinuierlich weiter aufgebaut  werden – zum Wohl von Pflanzen, Tieren und Menschen und des kulturellen Erbes der Massai.

Das Projekt wird aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert. Ihre Spende wirkt vierfach.


[1]Grasbank: ausgewählte Gebiete, die nur im Falle einer Trockenzeit/Dürre beweidet werden dürfen, um diese mittels der Grasreserve besser zu überstehen; auch zur Heugewinnung verwendet, verwaltet durch ein Management Komitee.

[2]Wasserpfennig: eine Gebühr für die Nutzung oder Entnahme von Wasser aus dem Grundwasser oder von Oberflächengewässern. Sie wird von einem Management Komitee verwaltet, und dient zur Erhaltung und Reparatur der Infrastruktur (Pumpen etc.).