Ein neuer Trend – Rückkehr auf´s Land

Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie führten zu einem Massenexodus aus den Megacities dieser Welt.

Die normalerweise nicht Wahrgenommenen, die ihr Überleben als Wanderarbeiter*innen, Straßenverkäufer*innen, Tagelöhner*innen fristen, machten sich zu Hunderttausenden auf den Weg – in eine Heimat, die häufig seit Jahren nicht mehr die ihre ist, doch immer in der Hoffnung, im Dorf einen Platz zum Überleben während der Krise zu finden.

In Zeiten von Wirtschaftskrise, Klimawandel und Migration geht es verstärkt um die Frage, wie ländliche Räume ökolnomisch tragfähig und gleichzeitig als Lebensraum attraktiv gestaltet werden können. Bislang sind - statistisch betrachtet - die Menschen auf dem Land besonders arm und besitzen weit überwiegend nur weniger als fünf Hektar, Tendenz sinkend. Wie entsteht da lebenswerte, Ernährungssicherheit bietende, ökonomisch zukunftsfähige, ökologische Landkultur? Es ist eine der großen Zukunftsaufgaben, die in den Händen junger Menschen liegt. Ausbildungszentren in Indien, Kenia und Mexiko bieten Antworten.

In Thika, Kenia, startete im Oktober 2019 der erste Ausbildungszyklus für ökologische Land­wirtschaft am College für ökologischen, kleinbäuerlichen Anbau.

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In Thika, Kenia, startete im Oktober 2019 der erste Ausbildungszyklus für ökologische Land­wirtschaft am College für ökologischen, kleinbäuerlichen Anbau.

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Die Kooperative bietet eine duale Ausbildung im biodynamischen Landbau und integrierter Wirtschaftsweise.

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Indien: Landbauschule Timbaktu Collective

Im trockenen, südindischen Andhra Pradesh, arbeitet Timbaktu Collective, eine ge­meinnützige Basisorganisation. Timbaktu Collective kooperiert mit über 22.000 marginalisierten Familien und konzentriert sich dabei auf Frauen, Kinder, Jugendliche und Menschen mit Behinderungen sowie landlose Arbeiterfamilien. Im Laufe der Jahre wurde die Gründung unabhängiger Ba­sisgenossenschaften in allen Programmbereichen um­gesetzt, um die Solidarität unter der Landbevölkerung zu stär­ken, Eigenverantwortung vor Ort sicherzustellen und ökonomische Tragfähigkeit aller Aktivitäten zu errei­chen. Das in diesen Jahren gesammelte Erfahrungswissen fließt in die aktuelle Pilotphase zum Aufbau eines Landbau-Colleges und die einjährige Ausbildung in Permakultur und biodynamischer Landwirtschaft für Jugendliche und junge Erwachsene. Ziel der Ausbildung ist, Kleinbäuer*innen und Landlosen auch in Zeiten der Dürre eine Ernte und Einkommen zu ermöglichen. Das praktische Lernen auf dem organisationseigenen Farmgelände bildet rund 60% des Unterrichts, dazu kommen dreimonatige Praktika bei erfahrenen biodynamischen Farmern in verschiedenen Regionen Indiens. Der Abschluss mit dem Titel „Advanced Certificate“ in ökologischer und biodynamischer Landwirtschaft ent­spricht einem Abschluss an einem technischen College und ist staatlich anerkannt. Trotz der Coronaauflagen kann der Unterricht der 25 Auszubildenden in modifizierter Form umgesetzt werden. Zwar ohne die geplanten Gastdozenten, aber mit intensivierten Bodenstudien, Gartenbau und Baumpflanzungen. Es hat kürzlich in der sonst extrem trockenen Region gut geregnet, so dass das Pflanzen von 800 Baumsetzlingen möglich war. Frisches Wurzeln in besonderen Zeiten. Pro Auszubildendem ist eine Förderung von 116 Euro und Monat notwendig.

Indien: Bei Timbaktu Collective in Andra Pradesh erlernen die Jugendlichen biodynamischen Anbau unter Bedingungen großer Trockenheit.

Kenia: College für Nachhaltigen Landbau in Ostafrika

Kenia: Mangogenuss von der eigenen Collegefarm – das genießen diese Auszubildenden.

In Thika, Kenia, startete im Oktober 2019 der erste Ausbildungszyklus für ökologische Land­wirtschaft am College für ökologischen, kleinbäuerlichen Anbau. Es ist der erste, ostafrikaweit akkreditierte Studiengang dieser Art. Gelehrt werden Wissen und Techniken ökologischen Land­baus mit geringen Eingangskosten für die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Dazu zählt auch der Aufbau lokaler Versorgung und lokaler bis internationaler Vermarktung. Auch hier fließt das langjährige Erfahrungswissen der tragenden Kleinbäuer*innenorganisation SACDEP ein, die seit über 25 Jahren in der Förderung von or­ganischem Anbau in Kenia und Ostafrika aktiv ist. Dieses Erfahrungswissen steht ganz im Einklang mit dem 2008 veröffentlichten Weltagrarbericht. Über 400 internationale Wissenschaftler beschreiben dort, dass der Schlüssel zur Welternährung bei Erhalt der Artenviel­falt in den Händen von Kleinbäuer*innen liegt. In der regulären ostafrikanischen Ausbildung von Agronom*innen spielt dieses Wissen je­doch, wenn es überhaupt gelehrt wird, nur eine Nebenrolle. Die Lehre ist auf das Betreiben kostenintensiver, großflächiger, industrieller Land­wirtschaft ausgerichtet. In diesem College nun werden in zweijährigen Kursen die Stu­dierenden im organischen Landbau ge­schult.

Themen sind u.a. die kleinräumige, auf Ernährungssicherheit und Dürreresistenz ausgelegte Landwirt­schaft bei niedrigen Eingangskosten im Sin­ne der Kreislaufwirtschaft; der Erhalt und Aufbau der Bodenfruchtbarkeit sowie der Biodiversität, mit besonderem Fokus auf lokalem und regionalem Saatgut; die artgerechte Tierhaltung und -zucht, angepasste Techniken für Wei­terverarbeitung und Vermarktung; der Einsatz regenerativer Energie; Bewässerung und Wassermanagement. Auch hier werden Theorie und Praxis im Wechsel ge­lehrt. Es ist das erste College dieser Art in Ostafrika, wo­von wir richtungsweisende Impulse für die landwirtschaftliche Entwicklung der Region erhoffen. Für die zwei­jährige Ausbildung werden pro Studieren­dem und Monat rund 90 Euro benötigt. Pro Tri­mester müssen die Studierenden zudem einen Eigenbeitrag in Form einer Zie­ge einbringen.

Mexiko: Agrosol – „Sonne des Landbaus“ - von 14 auf 400 Bewerber*innen

Inmitten einer hügeligen und fruchtbaren Landschaft unweit der Großstadt Xalapa im Bundestaat Veracruz liegt das Ausbildungszentrum Agrosol. Die Kooperative bietet eine duale Ausbildung in biodynamischem Landbau und integrierter Wirtschaftsweise. In einem Bildungsumfeld, das vor allem auf theoretischen Frontalunterricht und den Erhalt eines Abschlusstitels fokussiert, war es zunächst nicht leicht, Interesse bei jungen Mexikaner*innen für eine sehr praktisch ausgerichtete Ausbildung zu wecken. Lernen, Arbeiten und Leben auf dem Hof sind bei Agrosol die Regel, und damit auch die Übernahme typischer Aufgaben: vom Kühe-melken, Zäune reparieren bis hin zum Stallausmisten. Abends steht dann meist noch eine Unterrichtseinheit auf dem Lehrplan – das ist nicht jedermanns bzw. jederfraus Sache. Die Auszubildenden bei Agrosol sind zwischen 16 und 34 Jahren alt, stammen meist aus Kleinbauern­familien oder Elternhäusern mit kleinem Landbesitz.

Auch hier konzentriert sich die Ausbildung auf die ökologische und kleinbäuerliche Land- und Forstwirtschaft, Tierhaltung sowie die Weiterverarbeitung von Produkten. Die Wissensvermittlung geschieht vor allem auf dem Feld beim gemeinsamen Anbau von Gemüse, Mais, Bohnen und Kaffee, bei der Pilzzucht und der wesensgerechten Haltung von Milchkühen, Ferkeln und Mastschweinen, Schafen, Ziegen, Hühnern, Enten und Bienen. Die Auszubildenden können individuelle Schwerpunkte setzen und Zusatzqualifizierungen bei kooperierenden Betrieben erwerben. Die gewählten Themen reichen dabei von Fischzucht bis zur Herstellung von Bambusmöbeln.

Welche Früchte diese Pionierarbeit trägt, sieht man vielleicht am besten aus der Perspektive der Absolventen: Jorge Zatarain, einer der ersten Lehrlinge bei Agrosol, eröffnete im Anschluss an die Ausbildung ein Restaurant in Xalapa, wo er die erworbenen Kenntnisse rund um gesunde Lebensmittel unmittelbar umsetzte. „Als die Covid-19-Pandemie in Mexiko ausbrach, stellte ich auf Essenslieferungen um. Die Kund*innen konnten nun über eine App ihre Mahlzeiten bei mir bestellen. Die Nachfrage stieg so rasant, dass ich eine weitere Person einstellen musste. Auf die Stellenanzeige hin bewarben sich 130 Menschen! Sie alle verfügten über einen Universitätsabschluss, aber praktische Arbeitserfahrung hatte kaum eine*r vorzuweisen. Das rief mir unsere Diskussionen bei Agrosol über die Probleme des mexikanischen Bildungssystems in Erinnerung. An meinem nächsten freien Tag besuchte ich den Hof und wir vereinbarten, dass ich Agrosol mittels sozialer Medien und einer digitalen Plattform dabei helfen würde, neue Lehrlinge für den nächsten Lehrgang, der im Herbst losgeht, zu finden. Auf die digitale Ausschreibung hin meldeten sich 400 junge Menschen aus ganz Mexiko - eine riesige Überraschung für uns!“ Dann half Jorge Zatarain dem Ausbildungskoordinator, eine Vorauswahl geeigneter Kandidat*innen zu treffen. Er hat sich außerdem vorgenommen, ein Handbuch für das praxisbezogene Ausbildungskonzept von Agrosol zu schreiben.

 

Mexiko: Agrosol strebt die komplette Eigenversorgung an. Die Weiterverarbeitung der eigenen Produkte ist Teil der Ausbildung.
Mexiko: Der praktische Unterricht überwiegt – rund 20 Prozent entfallen auf Theoriestunden.

Die Kooperative ist bestrebt, die eigene Selbstversorgung zu erreichen und den Verkauf der Hoferzeugnisse stetig zu steigern. Auch die Lehrlinge und die Kooperativenmitglieder leisten einen Beitrag zu Versorgung und Unterkunft. Bis zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit sind aber noch viele Investitionen in Produktionsmittel und Infrastruktur vonnöten; und Agrosol möchte die Ausbildung weiterhin auch mittellosen Jugendlichen ermöglichen. Bei 40 Lehrlingen belaufen sich die Gesamtkosten pro Lehrling und Monat auf 250 Euro.