Unter dem Brennglas

Wie durch ein Brennglas zeigt der Umgang mit dem pandemisch auftretenden Virus die Brüche in dieser Welt. Die Partner*innen der Zukunftsstiftung Entwicklung helfen mit dem Nötigsten, wo staatliche Institutionen überfordert sind. Beispiele von drei Kontinenten.

Die Angst vor der Ansteckung führte zu Ausgangssperren weltweit. In diesen Monaten zeigten sich auch die Gesundheitssysteme führender Industrienationen vielfach überfordert. In den Ländern unserer Partner*innen ist die Gesundheitsversorgung weitgehend privatisiert und teuer. Die meisten Krankenhäuser sind sehr schlecht ausgestattet. Doch in der Breite zeigen sich derzeit die wirtschaftlichen Konsequenzen der verhängten Ausgangssperren als viel einschneidender. Und dies gerade für jene Menschen, die als Tagelöhner*innen oder Wanderarbeiter*innen sprichwörtlich von der Hand in den Mund leben. Unmittelbar mit Einsetzen der Ausgangssperren engagierten sich unsere Partner*innen in der gesundheitlichen Aufklärung, der Produktion von Seifen, Desinfektionsmitteln, dem Schneidern von Masken, ihrer Verteilung und der Vergabe von Lebensmittelhilfen. Dank der Reaktion unserer Spender*innen auf einen ersten Aufruf konnten wir bis Mitte Mai 2020 bereits über 200.000 Euro in der Corona-Nothilfe einsetzen.

Um diese Arbeit fortzuführen, benötigen wir dringend Ihre Hilfe.

Es geht darum, täglich genug zu essen zu haben – Tagelöhner*innen erhalten Lebensmittelhilfe durch die Women‘s Foundation in Kathmandu, Nepal.

Indien – welches Leben zählt?

Am 22. März begann die nationale Ausgangssperre. Die Grenzen zwischen allen indischen Bundesstaaten wurden geschlossen. Die desaströsen Auswirkungen, die dies insbesondere auf Wanderarbeiter*innen und Tagelöhner*innen hatte, fanden ihren Nachhall selbst in der deutschen Presse. Sie strandeten ohne Arbeitsmöglichkeiten oder Zugang zu Regierungshilfen. Meist lag dies an bürokratischen oder technischen Hindernissen. Manchmal fehlten einfach Ausweispapiere.

Andhra Pradesh, der Bundesstaat, in dem unsere Partnerorganisation Timbaktu Collective arbeitet, ist für Hunger in Folge von Dürren bekannt. Aufgrund der Ausgangssperren potenzieren sich die Probleme: Tagelöhner*innen sind ohne Einkommen und gleichzeitig schafften es Wanderarbeiter*innen aus sieben anderen Bundesstaaten nicht weiterzuziehen. Schätzungen gehen davon aus, dass viele auf den Wanderungen aufgrund von Entbehrungen umkamen. Die Zahlen sind nicht dokumentiert. Dazu kommen hunderte liegengebliebener Lastwagenfahrer. Die Regierung von Andhra Pradesh versucht zu helfen, zeigt sich allerdings als überfordert und bat Timbaktu Collective wie auch andere Nichtregierungsorganisationen um Unterstützung. Dies insbesondere für die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Bis zum 27. Mai konnte Timbaktu Collective bereits über 3.000 Menschen, darunter 323 Kinder, versorgen. 1.545 Indische Rupien (ca. 19 Euro) sind notwendig, um einen Menschen in Andhra Pradesh über drei Wochen mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Die Bewegung Ekta Parishad geht auf Mahatma Gandhi zurück. Sie setzt sich gut organisiert und gewaltfrei gegen alle Formen von direkter und indirekter Gewalt – also auch Armut, Diskriminierung, Ausbeutung und Vertreibung – ein. Dies geschieht aus dem Verständnis heraus, dass indirekte Gewalt der Nährboden offener Gewalt ist. Die Mitglieder der Bewegung Ekta Parishad haben sich in Basisgruppen in 14 Bundestaaten, vorwiegend in ländlichen Gebieten, organisiert. In der Corona-Krise engagieren sich rund 3.000 Aktivist*innen. Bei ihren Aktivitäten versuchen sie gezielt, die jeweiligen regionalen Regierungen mit ihrer Versorgungsverpflichtung einzubeziehen. Ihre Aktivitäten umfassen die Verteilung von Lebensmittelpaketen mit 5 Kilogramm Mehl, 1 Kilogramm Reis, 1 Kilogramm Linsen, 1 Liter Senföl, 1 Kilogramm Salz, Gewürzen, Seife und Masken an gestrandete Wanderarbeiter*innen, die jeweils für 15 Tage ausreichen sollen. Diese Lebensmittelpakete helfen auch den-jenigen, die ohne Mittel oder Geld in ihre Ursprungsdörfer zurückkehren. Gleichzeitig erreichen die Aktivist*innen von Ekta Parishad, dass regionale Regierungen Transportmittel zur Verfügung stellen. So konnten beispielsweise 18.000 Familien mit insgesamt 5.000 Kindern aus Rajasthan in ihre Heimatregion nach Südindien zurückkehren. 2.000 dieser 5.000 Kinder sind allerdings stark unterernährt und sollen über zwei Monate zusätzliche Ernährung erhalten.

Da es in allen Bundestaaten Indiens ein 100-Tage-Recht auf bezahlte Arbeit gibt, setzt sich Ekta Parishad dafür ein, dass Menschen in den Dörfern dieses Arbeits- und Lohnrecht wahrnehmen und dazu nutzen können, die dörfliche Wasserversorgung durch den Neubau und die Pflege von Kanälen, Staubecken und Brunnen zu verbessern. Durch verbesserte Bewässerung sollen mittelfristig landwirtschaftliche Erträge steigen.

Corona-Nothilfe Indien

Corona-Nothilfe Nepal

Nepal – Frauenpower für die Unsichtbaren

Nachdem die indische Regierung am 22. März 2020 eine allgemeine Ausgangssperre verhängte, zog auch die nepalesische Regierung nach. Bis zum 2. Juni (Stand 20. Mai.) stand in Nepal alles still. Die Grenze zu Indien ist geschlossen. Es ist gleichzeitig der Hauptversorgungsweg nach Nepal.

Mit der Ausgangssperre wurde die Women‘s Foundation in Sachen Corona-Nothilfe aktiv: Die Produktionsstätte der Women‘s Foundation, die üblicherweise für die Herstellung von Schals genutzt wird, wurde kurzerhand an die Situation angepasst. Die Mitarbeiter*innen begannen mit der Produktion von Atemmasken. Diese werden frei verteilt. Die Frauen, die in den Stadtvierteln rund um das Hauptquartier der Women‘s Foundation als Tagelöhner*innen und mobile Gemüseverkäufer*innen leben, dürfen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Ihre wenigen Vorräte und ihr Erspartes waren sehr schnell aufgebraucht. Verzweifelt wandten sie sich als Erstes an die Women‘s Foundation und baten um Lebensmittel. Die Präsidentin der Women‘s Foundation, Renu Sharma, mahnte bei den lokalen Regierungsinstitutionen an, sich um die notleidenden Menschen zu kümmern. Zwar begann diese, einige Familien zu unterstützen, allerdings nur die im betreffenden Viertel als Anwohner*innen Registrierten. Hunderte Frauen stammen dagegen aus abgelegenen Hochlandregionen Nepals. Sie sind teilweise bereits vor Jahren in die Hauptstadt gekommen und leben dort unter prekären Umständen.

Durch steigende Lebensmittelpreise – vor allem für die Grundversorgung – wurde es schnell für weitere Menschen unmöglich, sich in den Zeiten der Pandemie zu ernähren. Zunächst verteilte die Women‘s Foundation Lebensmittelpakete – ausgelegt für 15 bis 20 Tage, einschließlich Masken. 3.217 Tagelöhner*innen, alleinerziehende Mütter, Menschen mit Behinderung, sehr alte und arme Frauen erreichte diese Hilfe bereits. Die Lebensmittelpakete setzen sich aus 25 Kilogramm Reis, 5 Kilogramm Linsen, 1 Kilogramm Salz und einer Ration Öl zusammen. Da der Bedarf stetig wuchs, optierte die Women‘s Foundation für die Einrichtung einer „offenen Küche“. Dadurch wird auch dem Problem begegnet, dass die Preise für Kochgas extrem steigen. Rund 500 Menschen essen nun täglich unter Zeltdächern auf dem Platz vor dem Gebäude des Hauptquartiers. Jeder fünfte Nepalese arbeitet im Ausland, zumeist in den arabischen Emiraten, und überweist Geld in die Heimat. Nepals Wirtschaft hängt wesentlich von diesen Rücküberweisungen und dem Tourismus ab. Die Rücküberweisungen sind eingebrochen, der Tourismus zum Erliegen gekommen. Nepal erlebt eine schwere Krise.

Peru – das Militär auf den Straßen

Die Bilder des Auszugs aus den Megacities der Welt wiederholen sich auch in der peruanischen Hauptstadt Lima. Präsident Martín Vizcarra verhängte am 15. März den Ausnahmezustand, der mehrmals bis zum 30. Juni verlängert wurde. Es gilt das Gebot der „sozialen Isolation“. Das bedeutet, dass pro Haushalt nur eine Person das Haus verlassen darf, um Lebensmittel einzukaufen. Montags, mittwochs, freitags die Männer, dienstags, donnerstags, samstags die Frauen. Sonntags darf niemand raus. Die Durchsetzung dieser Maßnahmen erfolgt durch Militär und Polizei. Manche unserer Partner fühlen sich an die „Terror-Bekämpfungs-Zeit" der 80er und 90er Jahre beklemmend erinnert.
Auch in Peru ist es kaum möglich vorherzusagen, wie sich die Situation in den kommenden Monaten entwickeln wird. Doch je härter die USA und China von der Pandemie getroffen sein werden, desto tiefer wird die Talfahrt für die peruanische Wirtschaft ausfallen, da China und die USA die Hauptimporteure peruanischer Produkte sind. 70 Prozent der peruanischen Wirtschaft findet im informellen Sektor statt, 40 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut oder extremer Armut. Während der Ausgangssperre zahlte die Regierung einmalig eine Familienförderung „bono familiar“ von 760 Soles, rund 213 Euro. Diese Unterstützung erreichte nicht alle Bedürftigen.

In der Hauptstadt Lima arbeitet unsere Partnerorganisation Aynimundo in zwei Slumgebieten. Aynimundo hilft Familien, bürokratische und technische Hürden zu überwinden, um die staatliche Familienförderung zu erhalten. Ferner unterstützt Aynimundo gezielt besonders bedürftige Familien und Familien mit Angehörigen mit Behinderung finanziell sowie mit Lebensmitteln und notwendigen Produkten des primären Bedarfs wie Seifen, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln.

In vielen ländlichen Gebieten Perus blockieren die rondas campesinas (bäuerliche Selbstverwaltungsgruppen) aus Angst vor der Ausbreitung des Virus den Zugang zu Dörfern. In den zwölf Bergbauergemeinden in den nördlichen Hochanden, mit denen unser Partner ACICA zusammenarbeitet, wächst anscheinend mit den Informationen über die desolate Lage der Menschen in Lima das Bewusstsein über das, was sie selbst – auch im Rahmen der Projektförderung der letzten Jahre – erreicht haben. Sie haben Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, forsten auf, haben mehr Kleintiere und Vieh. Sie sind in ihrer Selbstversorgung deutlich gestärkt. Vielleicht führt diese Krise auch zu einer neuen Würdigung dieser grundlegenden Ressourcen.

Kenia zwischen Heuschreckenplage und COVID-19

Liebes Corona-Virus, Willkommen in Kenia“, postete Samuel Mang‘era, ein junger Autor aus Kenia: „Es gibt ein paar Sachen, die du hier wissen solltest (...) wir können Dir nicht zu viel Aufmerksamkeit widmen, denn wir haben schon eine große Heuschreckenplage (...)“. Und Mang‘era fährt fort: „Wir sterben eher an Cholera als durch Dich. Für uns ist jeder Tag ein Wettlauf vor dem Tod (...)

“Trotz verhältnismäßig niedriger Infektionszahlen in Kenia (8.067 Fälle am 7. Juli 2020) verhängte die kenianische Regierung eine nächtliche Ausgangssperre (von 21 bis 4 Uhr) sowie Reiseverbote innerhalb und zwischen vier Counties, darunter Nairobi County und Mombasa. Gleichzeitig plagen die Heuschreckenschwärme das Land noch immer. Die derzeitigen Grenzschließungen verschärfen die Situation zusätzlich. Laut dem kenianischen Landwirtschaftsministerium verläuft die Versorgung mit Pestiziden derzeit nur schleppend. Zusätzlich wirken die Pestizide nicht wie erhofft.

Unsere Partnerorganisation SAPAD aus einem der besonders betroffenen Gebiete Tharaka berichtet von neuen Schwärmen der zweiten und dritten Generation, die sich aufgrund anhaltend günstiger Wetterbedingungen weiter vermehren. Die erste Ernte des Jahres ist vernichtet, die Vegetation des Gebiets zutiefst geschädigt, was auch dazu führt, dass mit der Ernte, die normalerweise im Juni, Juli erfolgen würde, nicht zu rechnen ist. Die schlechte Ernte im Januar/Februar wie auch die Corona-Krise führen zu einem vermehrten Anstieg von Preisen für Grundnahrungsmittel. Mit Spenden, die uns bislang erreichten, wurden besonders betroffene Kleinbauernfamilien mit monatlichen Lebensmittelpaketen, bestehend aus Mais, Bohnen und Öl, unterstützt.