Gesundheit in der eigenen Hand

MUHIL gewährleistet im südindischen Tamil Nadu die Gesundheitsversorgung für mittellose Menschen, besonders für Dalits (sogenannte Unberührbare) und Angehörige niedriger Kasten. Grundlage ist die mehr als zweitausend Jahre alte Tradition der Siddha-Medizin. Ziel ist, diese Gesundheitsversorgung auszuweiten und langfristig insgesamt rund 68.500 Bewohner*innen aus 93 Dörfern Zugang zu Versorgung zu ermöglichen.

Mehr über MUHIL

Dr. Fatima Rani studierte als Ordensschwester Siddha-Medizin. Aufgrund der von ihr gewählten "Option für die Armen" schied sie aus ihrem Konvent aus. Gemeinsam mit Dr. Vincent Clement Joseph und Father Michael gründete sie "The Downtrodden and Poor People Charitable Medical, Educational & Welfare Trust“, eine gemeinnützige Stiftung, die Gesundheitsleistungen für arme ländliche Bevölkerungsgruppen, vor allem Kastenlose, anbietet.

Über mobile Dorfkliniken, Health Camps und die Behandlung im zentralen Gesundheitszentrum bietet MUHIL Bedürftigen (Kastenlosen, Angehörigen niedriger Kasten und sogenannten Tribals) medizinische Basisversorgung auf traditioneller Siddha-medizinischer Grundlage. 35 Mitarbeiter*innen und weitere Gesundheitspromotor*innen versorgen 93 Dörfer im Distrikt Madurai in Tamil Nadu. MUHIL bildet Kleinbäuer*innen im biodynamischen Anbau aus. Ferner verfügt MUHIL über eine Destille zur Produktion ätherischer Öle, die national wie international vertrieben werden. Zurzeit baut MUHIL eine Medizinproduktionsstelle für Siddha Arzneimittel auf. Seit 2002 kooperiert die Zukunftsstiftung Entwicklung mit MUHIL in der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitspromotor*innen und Gesundheitshelfer*innen, der Rekultivierung von verödetem Land, der Ausweitung des biodynamischen Anbaus, der Produktion ätherischer Öle und nun der Arzneimittelproduktion.

30 Kilometer von der regionalen Hauptstadt Madurai entfernt, eingebettet in überwiegend kleinbäuerlich genutztes Flachland mit einzelnen Hügeln, grenzt ein ärmliches Dorf an das andere. In diesem Gebiet ist das de jure längst abgeschaffte Kastensystem weiterhin bestimmend. Die Menschen haben weder das Recht noch die Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben. Die langjährige Ausbeutung des Landes durch Monokulturen, zusammen mit der Verschärfung von Wetterextremen infolge des Klimawandels, haben die Böden mit Schadstoffen belastet und ihre Nährstoffe aufgezehrt. Der Bodenerosion sind Tür und Tor geöffnet. Eine Kleinbäuer*in kann hier im Jahr höchstens ca. 380 Euro pro 4000 m2 erwirtschaften – allerdings nur bei fruchtbarem, bewässertem Boden. Haben die Bäuer*innen nur Ödland, so sind sie gezwungen, als Tagelöhner*innen in Programmen der Regierung oder auf dem Bau in Madurai zu arbeiten.  Männer können am Tag rund 120 indische Rupien (rund 1,50 Euro) und Frauen nur rund 80 indische Rupien (rund 1 Euro) verdienen. In Folge der Armut arbeiten 60 Prozent der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen ganz oder teilweise als landwirtschaftliche Tagelöhner (Zensus 2014). Auch wenn in jedem Dorf eine kleine, kostenfrei zu besuchende Volksschule existiert, erreichen nur 47 Prozent der Kinder, die eingeschult werden, die zehnte Klasse, also die Abschlussklasse. Nur rund 20 Prozent der Jugendlichen besuchen eine weiterführende Schule. Als Folge des niedrigen Bildungsniveaus werden – auch von Regierungsseite – mangelnde soziale und zivilgesellschaftliche Verantwortung angeprangert, Mangel an Umweltbewusstsein und Hygiene, fehlendes Bewusstsein für Ernährung und Gesundheit.

Dr. Rani bei der Versorgung einer Patientin
Aufklärungsworkshop bei MUHIL

Der Teufelskreis aus Armut, geringer Bildung und Erkrankung …
Zu diesen Problemen kommt die chronische Unterernährung, vor allem bei Kindern und Frauen. Eine Mahlzeit pro Tag, aus Reis und Linsen ohne jede Abwechslung, ist in den Dörfern die Regel. Die Unterernährung führt zu zahlreichen Folgeerkrankungen. Besonders häufig sind alle Varianten von Hepatitis, Asthma, Rheuma, Psoriasis, Nephritis, Dermatitis und Krebs. Periodisch brechen epidemische Erkrankungen aus wie Monsunfieber, Bronchial- und Lungenentzündungen, Chikungunya und andere Fiebererkrankungen.

… wird durchbrochen von ganzheitlicher Basisgesundheitsversorgung
In rund 40 Dörfern dieses Gebiets leistet Dr. Fatima Rani mit ihrer Organisation MUHIL seit einigen Jahren Gesundheitsversorgung auf der Grundlage der Siddha-Medizin. Die hat in Tamil Nadu eine mehr als zweitausend Jahre alte Tradition. Es ist eine ganzheitliche Behandlung der Menschen, die von dem Prinzip der Selbstverantwortung ausgeht. Die Patient*innen werden unterstützt, die Ursachen ihrer Erkrankung aufzuspüren und zu verstehen, so dass die Behandlung an den Ursachen ansetzen kann. Die Menschen werden unterstützt die Fürsorge für sich vermehrt in die eigene Hand zu nehmen. Das schließt Schulungen in Yoga, Meditation, ausgewogener Ernährung, Hygiene und im Umgang mit Wasser ein. Die Schulungen werden von Gesundheitshelfer*innen durchgeführt, die von den Ärzt*innen von MUHIL ausgebildet werden.
Die Siddha-Medizin arbeitet mit einer breiten Diagnostik und nutzt lokale Kräuter und Pflanzen. Übergänge zu anderen Medizinrichtungen sind fließend. Die medizinische Behandlung erfolgt für mittellose Menschen kostenfrei. Für die Medikamente entrichten die Patient*innen einen sogenannten Anerkennungsbeitrag. Bei schwereren Erkrankungen können Patient*innen die zentrale Gesundheitsstation von MUHIL aufsuchen, die über 25 Betten verfügt. Komplizierte Fälle, die Operationen erfordern, problematische Geburten und Intensivmedizin erfordernde Erkrankungen müssen - nach indischem Recht - an staatliche Krankenhäuser verwiesen werden.
Durch ihre Präsenz in diesen 40 Dörfern – Gesundheitszentrum, mobile Gesundheitsstationen und dezentrale Gesundheitscamps - bietet MUHIL mehr als 23.000 Bewohner*innen Zugang zu einer Basisgesundheitsversorgung. Im Jahr 2019 versorgten die Mitarbeiter*innen von MUHIL - drei Ärzt*innen und rund 50 ehrenamtlich arbeitende, ausgebildete Gesundheitshelfer*innen - zwischen 5.500 und 6.000 Menschen in den mobilen Gesundheitsstationen, rund 1.700 Menschen im Rahmen der Gesundheitscamps sowie mehr als 1.000 Menschen im Gesundheitszentrum. Die Gesundheitshelfer*innen schulen die Menschen in Hygiene und Ernährung. Sie begleiten die Einnahme von Medikamenten, nehmen Massagen vor, Einreibungen und Wickel.

Ausbau des Netzwerkes und Herstellung eigener Medikamente

Der Erfolg dieser Gesundheitsarbeit von Dr. Rani führte dazu, dass sie von lokalen Behörden und weiteren 53 Dörfern gebeten wurde, die medizinischen Dienstleistungen auch ihren rund 45.500 Einwohner*innen anzubieten.
Um das zu können, muss MUHIL auch die eigene Herstellung von Medikamenten ausweiten. Derzeit produziert MUHIL rund 200 Medikamente aus 129 Kräutern und Pflanzen. Die Kräuter werden in kleinbäuerlicher, organischer oder biodynamischer Landwirtschaft angebaut oder als Wildkräuter gesammelt. Schon jetzt deckt dies kaum den Bedarf. Mitunter sind teure Zukäufe notwendig. Nun soll eine Manufaktur aufgebaut werden, die die Herstellung stärker mechanisiert. Bis Mitte 2021 soll der Bau einer einfachen Produktionshalle sowie zweier Lagerhallen fertiggestellt werden. Außerdem sollen eine Anlage zum Rösten, ein Pulverisierer, ein Granulator sowie eine Maschine zum Trocknen angeschafft werden. Dazu kommen eine Tablettenpresse und eine Verpackungsmaschine.
Gleichzeitig sollen weitere 50 Frauen als Gesundheitshelferinnen und in der Arzneimittelherstellung ausgebildet werden. Der Anbau von Kräutern und Pflanzen auf organisch und biodynamisch zertifizierten Feldern soll ausgeweitet werden. Vertreter*innen der 53 Dörfer haben angeboten, dass in ihren Farmen geprüfte Wildpflücker*innen arbeiten dürfen, um die Beschaffung der Rohstoffe zu sichern. Als Wildpflückerinnen sollen vor allem landlose Frauen, die bisher als Tagelöhnerinnen arbeiten, beschäftigt werden. Sie benötigen Schulungen zur nachhaltigen Wildkräutersammlung.
40 Prozent der hergestellten Medikamente sollen verkauft werden, um so die Produktionskosten und den Unterhalt der Anlagen wie auch die Personalkosten zu decken. 60 Prozent der Produktion sind für die medizinische Versorgung der Dorfbewohner*innen reserviert.

Die neue Produktionsstätte für Siddha-Arzneien soll langfristig rund 70.000 Menschen versorgen; sie wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert. Insgesamt werden rund 250.000 Euro investiert.

Die laufende Basisgesundheitsversorgung der bereits kooperierenden 40 Dörfer sowie der weitere Ausbau brauchen im Jahr rund 37.500 Euro. Das sind je Patient*in rund 7 Euro.
Bei Spenden für den Ausbau der Arzneimittelherstellung zählt Ihre Spende – dank des Zuschusses des Bundesministeriums – vierfach.

 

Herstellung von Siddha-Medizin bei MUHIL