1. Aufmerksamkeit neu ausrichten – Sehen, was möglich ist!
Wir als Politiker*innen müssen umlernen. Dazu brauchen wir unmittelbar geteiltes Erfahrungswissen aus Initiativen, die bereits gemeinschaftsbildend und gleichzeitig sozial freiheitlich, ökologisch wie auch wirtschaftlich nachhaltig in allen gesellschaftlichen Feldern in den Ländern des globalen Südens tätig sind. Da Lernen über eigene Erfahrung geht, starten wir die Zusammenarbeit in unserem Regierungskabinett mit einer sechsmonatigen Studienreise zu Fuß, Fahrrad, Pferd und Segelschiff und sammeln Erfahrungswissen in erfolgreichen Initiativen.
2. Welternährung sichern
Der Weltagrar- und nachfolgende Berichte haben gezeigt: Die kleinbäuerliche, biodivers angelegte, organische Landwirtschaft kann die Welternährung auch bei steigender Weltbevölkerung sichern und gleichzeitig natürliche Ressourcen besser erhalten. Deshalb befördern wir die Wende zu einer produktiven ökologischen und Klimawandel-resilienten Agrar- und Ernährungswirtschaft, die vor allem auf die lokale und regionale Versorgung abzielt. Wir fördern gezielt die kleinbäuerlichen und mittleren Betriebe in den Ländern des Südens, damit sie agroökologische Praktiken erlernen, ihre Landrechte sichern und ihr samenfestes Saatgut erhalten können. Wir fördern den Zugang zu Krediten, zu Bewässerung und produktionssteigernden, technologisch angepassten Werkzeugen und -geräten. Ziel ist die Abschaffung des Hungers, das Erreichen von Ernährungssouveränität und Ernährungssicherheit.
Der erblühende kleinräumige Verarbeitungs- und Dienstleistungssektor wird neue Arbeitsplätze schaffen. Als Ministerium setzen wir uns dafür ein, den internationalen Handel mit Agrarprodukten unter den Leitlinien von fairen Preisen für Rohstoffe und Verarbeitungsstandards neu zu strukturieren. Spiritus Rector*innen können hunderttausende, weit überwiegend von Frauen betriebene, erfolgreich wirtschaftende kleinbäuerliche, organische Landbauhöfe sein mit angeschlossenen Weiterverarbeitungseinheiten in Asien, Afrika und Lateinamerika sowie Ansätze aus dem fairen Handel.
3. Urbane Räume lebenswert gestalten
2020 sahen wir den Exodus der Tagelöhner*innen, informell Beschäftigten aus den Megacities dieser Welt. Sie konnten ihr Überleben nur durch die Flucht auf´s Land sichern. Ewa 900 Millionen Menschen leben derzeit in Slums. Die Slums dieser Welt sozialökologisch umzubauen, ist mit die größte Herausforderung, vor der wir stehen. Dafür stellen wir im BMZ einen Fonds zur Verfügung und bemühen uns um die Errichtung ähnlicher Fonds in allen G20-Staaten. Spritius Rektor*innen und Förderberechtigte sind Städtenetzwerke, Volksküchen, selbstverwaltete Mikrofinanzgruppen, Kooperativen, die in Slumgebieten die Selbstorganisation für Wasser, Elektrizität, Infrastruktur und Transport in die Hand nehmen, Wohnräume gestalten, geschützte Kindergärten, inkludierende, emanzipatorische Schul- und Ausbildungsformen aufbauen.
4. Daseinsvorsorge und soziale Sicherung realisieren
Die Anzahl von Ländern und Regionen, in denen Menschen keine sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Menschenrechte genießen, nimmt zu. Als neue Bundesregierung werden wir die „gute Regierungsführung“ über politischen Dialog, Anreize und Unterstützung zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit, Förderung von Verwaltungsreformen bei Förderung dezentraler Strukturen unter Einbezug der lokalen Zivilgesellschaft stärken. Wir befördern insbesondere emanzipatorische Bildungsinstitutionen, die sich für Bildungsrechte von Mädchen und Frauen einsetzen und stärken die duale Ausbildung. Da Einrichtungen zur Basisgesundheitsvorsorge unter Einbezug naturheilkundlichen lokalen Wissens besonders positive Wirkungen auf die Verbesserung von Lebensverhältnissen marginalisierter Gruppen haben, werden wir helfen, diese Basisgesundheitsversorgung vorrangig auszubauen und dies mit der Förderung dezentral organisierter Infrastrukturprojekte zur Trinkwasserversorgung verbinden.
5. Kleine und mittelständische Unternehmen fördern
Der Großteil der Weltbevölkerung arbeitet im informellen Sektor und ist – wenn überhaupt – prekär gesichert. Gleichzeitig führen die Auswirkungen des Umgangs mit der Pandemie zu einem drastischen Verfall der Wirtschaft im globalen Süden. Die Menschen, die an dem selben Tag das verdienen, was sie essen, leiden darunter am meisten. 2020 erlitt der informelle Sektor weltweit einen Einbruch von über 80% (OECD). Deshalb fördern wir insbesondere den Ausbau von kleinst- und mittelständischen Unternehmen und sichern Direktinvestitionen aus diesem Sektor zum Ausbau partnerschaftlich organisierten Know-How-Transfers zwischen Nord und Süd.
6. In den Ausbau dezentraler Energieversorgung investieren - „Climate matching Fund“
Wir treten an, unter 1.5° zu bleiben. Deshalb werden wir für jeden Euro, der hier in den klimawandelresilienten Wirtschaftsumbau investiert wird, einen Euro in einen internationalen Fonds für klimagerechte Investitionen in den Ländern des Südens einzahlen. Wir regen in der EU an, einen ebensolchen Schritt zu gehen.
7. Gemeingüter schützen
Erfahrungsgemäß sorgen indigene Gemeinschaften für den Erhalt ihrer natürlichen Habitate, wie Wälder und Steppen. Deshalb stärken wir den gemeinschaftlichen Landbesitz indigener Gemeinschaften und sichern den Vorrang vor privatwirtschaftlicher Nutzung. Wir befördern den Zugang zu Darlehen und Krediten zum Ausbau angepasster Infrastruktur (Wasser, Elektrizität), der zurzeit wegen mangelnder Garantien nicht existiert. Die indigenen Gemeinschaften sind die natürlichen Spiritus Rector*innen in diesem Themenfeld.
Unser aller Dasein hängt von dem Erhalt des Amazonasgebiets, der Permafroststeppen und Alaskas ab. In 2020 wurden im Amazonasgebiet mehr Bäume gefällt, als in den zwölf vorhergehenden Jahren zusammen. Die Länder des Südens können in diesen Gebieten geborgene Ressourcen unangetastet lassen, wenn wir transnationale Ausgleichsfonds errichten, die ihnen die finanziellen Grundlagen bieten, um notwendige Wirtschaftsinvestitionen zu tätigen, die auf der Idee von Ökologie und Kreislaufwirtschaft beruhen.
8. Rüstungsindustrie umrüsten
Zwischen 2018 und 2020 entfielen 48 Prozent der Ausfuhrgenehmigungen für deutsche Rüstungsexporte auf Drittländer außerhalb der EU und NATO. Hier vor allem auf Staaten im Nahen Osten und Nordafrika (Hüllinghorst/Roll 2021). Ohne einen radikalen Strukturwandel in der deutschen Rüstungsindustrie können wir die Konflikte der Welt nicht lösen. Es ist so viel Wissen und technologische Kapazität in dieser Branche vorhanden. Das können wir besser nutzen!
9. Krisen vorbeugen – Prävention stärken – raus aus der Blase!
Krisen zeichnen sich lange ab. Wir brauchen gestärkte politische Krisenpräventionsmechanismen, in denen multilateral, nationale und zivilgesellschaftliche Vertreter*innen zusammenkommen. Verbesserte Dateninstrumente, um beispielsweise Binnenvertreibung in Konfliktregionen schneller zu erkennen, sind hilfreich. Doch ein einfach umzusetzender Schritt wäre auch die Aufstockung des diplomatischen Korps mit der Auflage, einzutauchen in das Alltagsgeschehen, sowohl in den Hauptstädten als auch Randlagen dieser Welt: von der Botschafter*in zur Hinhörer*in werden!
10. Den Tod im Mittelmeer beenden
Immer mehr Menschen flüchten oder werden vertrieben. Die allermeisten bleiben in Nachbarländern und Regionen. Diese Aufnahmeregionen werden wir gezielt stärken und Verelendung, Gewalt und Radikalisierung verhindern. Wir bauen die Flüchtlingslager dieser Welt zu blühenden Handwerksakademien und Universitäten um und sparen die Folgekosten von Kriegen, Gewalt und Verelendung. Alle Maßnahmen des 15 Punkte-Programms zahlen darauf ein, Fluchtursachen zu mindern.
Gleichzeitig statte ich als Entwicklungsministerin die private Seenotrettung aus und unterstelle Frontex strenger parlamentarischer Kontrolle, um illegale push-backs an den EU-Außengrenzen zu verhindern. Nicht, weil ich glaube, damit das gesamte Problem von Flucht, Vertreibung und Migration zu lösen, sondern weil ich als Mensch den Tod im Mittelmeer nicht toleriere.
11. Den „Weltpass für Klimawandelvertriebene“ einführen
Da zukünftig mehr Menschen ihren Lebensorte in Folge des Klimawandels verlieren, erhalten sie das Recht, frei einen neuen Wohnort zu suchen. Dazu erhalten sie einen Weltpass, der die freie Wahl des Lebensortes und volle staatsbürgerliche Rechte in allen Ländern dieser Welt sichert.
12. Radikale Entschuldung umsetzen
Es gibt zu viel losgelöstes Kapital – also nur in der Finanz-, nicht in der Realwirtschaft wirkendes Geld bei einem viel zu starken sozialen Ungleichgewicht. Allein im März 2020 sind 100 Milliarden Euro von den Ländern des Südens in den globalen Norden abgeflossen. Die Verschuldung der so genannten „least developed countries“ liegt aktuell jenseits jeder Tragfähigkeit. Im Zuge der Pandemie betrifft diese Überschuldung auch die so genannten „middle income countries“. Als Schattenministerin plädiere ich für eine radikale Entschuldung der Länder des Südens bei öffentlichen und privaten Gläubigern. Die Ent- und Umschuldung werden wir in einem international zu vereinbarenden staatlichen Insolvenzprozess innerhalb der nächsten Legislaturperiode umsetzten, denn strukturierter Schuldenabbau ist besser als chaotischer Staatsbankrott mit Dominoeffekten (siehe Lehman Brothers und das war ein Spaziergang gegenüber dem, was da kommt).
13. Bottom up budgeting einführen – partizipative Bürger*innenhaushalte schaffen
Gleichzeitig schaffen wir die soziale Gerechtigkeit in einem florierenden Wirtschaftsleben, denn – wie Bregman eindrücklich ausführt: der Mensch ist „Im Grunde gut“....
Das gelingt mittelfristig mit „Bottom up budgeting“ – „partizipativen Bürger*innenhaushalten“ – von den Kommunen bis zum Bundeshaushalt und den weiteren, folgenden Programmpunkten.
14. Verantwortungsvolles Wirtschaften aufbauen: Lieferkettengesetz ausbauen und bedingungsloses Grundeinkommen einführen
Wir bauen das Lieferkettengesetz weiter aus und setzen in Deutschland, dann EU- und weltweit das bedingungslose Grundeinkommen um. Zur Finanzierung führen wir die Transaktionssteuer ein, legen Steueroasen trocken, indem Steuerschlupflöcher geschlossen und die Vermögens- /Erbschaftssteuer sinnvoll angehoben werden. Spiritus Rectoren*innen können die Initiator*innen von Bürgerhaushalten sein und die jungen, wilden Erb*innen, die das Verantwortungserben viral gehen lassen. Es sind die mutigen Investigativjournalist*innen (siehe Panama-Papers), die Steueroasen aufdecken und Organisationen, die sich für Transparenz und Steuergerechtigkeit einsetzen.
15. Kohärenz zwischen Ministerien und Multilateralismus stärken
Die Rettung des Planeten erfordert die Änderung unseres Produzierens und Konsumierens. Wir benötigen eine radikale Ausrichtung auf kreislaufwirtschaftliche Produktionsmodelle. Deshalb sprechen wir über materiellen Verzicht – und darüber, was wir über ein Mehr an Unmittelbarkeit, Mitsprache und weniger bezahlte Lohnarbeit an lebenswertem Alltag erreichen können.
Kabinettsarchitektonisch stehen BMZ-Minister*innen immer etwas im Abseits. Im neuen Kabinett werden wir die Leitlinie verwirklichen, dass alle Gesetze unter Prüfung des Primats globaler Verantwortungsübernahme zum Ressourcenerhalt, der Konfliktprävention und -reduzierung stehen. Auswärtiges Amt, Außenministerium und BMZ übernehmen hierfür Beratungs- und gutachterliche Funktionen. Es gelten Vetorechte, wenn Vorhaben und Gesetze die Leitlinie globaler Verantwortungsübernahme nicht einhalten.
Die komplexen Konflikte in der Welt sind derzeit nur multilateral zu lösen. Auf allen Ebenen müssen wir den Multilateralismus stärken. Um dies wahrnehmen zu können, wird die neue Bundesregierung Personal aufstocken und in Konfliktlösung geschulte Vertreter*innen permanent in alle internationalen Gremien entsenden.
Wieso ich nicht Politikerin werde...?
Alle positiven Ansätze für ein kreatives Morgen sind da. Wir brauchen viel mehr Aufmerksamkeit für die tausenden, wunderbaren Veränderungsinitiativen, damit in der Breite erlebbar wird, wie es gehen kann. Wir brauchen Leuchttürme mit Wirkkraft. Ich bin ein gestaltungshungriger Mensch. Für das politische Geschäft des unendlich mühevollen und notwendigen Ringens um Worte bin ich unbrauchbar.
So arbeite ich mit all meiner Kraft lieber daran, in der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung gemeinsam mit unseren 77 Partnerorganisationen in 18 Ländern „die Bilder einer Welt, die wir wollen“ (Wilhelm Ernst Barkhoff) im Einüben neuer Praktiken des Arbeitens und Lebens in vertrauensvoller Assoziation in die Realität zu bringen. Aufbau und Veränderung braucht alltägliches, unaufgeregtes Tun und langen Atem.
Deshalb, liebes info 3-Team, danke ich für die Nominierung.
Die Kandidatur kann ich somit nach reiflicher Überlegung nicht antreten.
Hochachtungsvoll,
Dr. Annette Massmann